Avag Schabar – Die armenische Karwoche
Die Karwoche oder auch stille Woche ist die letzte Woche der Fasten- und Passionszeit. Der deutsche Name stammt vom althochdeutschen Wort „kara“ oder „chara“ ab, was Kummer, Klage oder Trauer bedeutet. Auf Armenisch wird sie Աւագ Շաբաթ (Avag Schabat. Große Woche) genannt. Vier große Mysterien sehen in dieser Woche die Lehrer der Armenischen Kirche. Als Erstes: das Mysterium der ersten Woche der Erschaffung der Welt. Als Zweites: das Mysterium der sieben Perioden des Lebens (Nach Kirchenvätern sind es sieben Perioden von der Schöpfung bis zur Wiederkunft Christi). Als Drittes: das Mysterium der Leiden Christi und als Viertes: das Mysterium des Weltuntergangs.
Alle Tage des Avag Schabat haben ihre eigene Bedeutung, ihren eigenen Charakter, sie weisen auf die Ereignisse dieser Woche hin, nicht nur mit den entsprechenden Lesungen, sondern auch durch besondere Gottesdienste. Wie die Sonntage der Großen Fastenzeit bilden auch die einzelnen Tage des Avag Schabat ein Ganzes.
Die Tage des Avag Schabats heißen:
Avag Erkushabti (Ավագ Երկուշաբթի) / Karmontag – An diesem Tag wird an die Erschaffung der Welt gedacht und an das Verwelken des unfruchtbaren Feigenbaums (Mt. 21, 18-22);
Avag Ereqschabti (Ավագ Երեքշաբթի) / Kardienstag – Gedenken an die zehn Jungfrauen (Mt. 25, 1-12);
Avag Tschoreqschabti (Ավագ Չորեքշաբթի) / Karmittwoch – Salbung (Mt. 26, 6-13) und Verrat des Herrn (Mt 26, 14-16);
Avag Hingschabti (Ավագ Հինգշաբթի) / Gründonnerstag – Letztes Abendmahl: das Mysterium der Eucharistie (Mt 26, 17-29), das Ritus der Fußwaschung (Joh 13, 1-20), der Abendgottesdienst zur Passion Christi, welches Khawarum (Խավարում) / Verfinsterung genannt wird. Da ab 17 Uhr nach dem Kirchenkalender der neue Tag beginnt, gehört dieser Gottesdienst bereits zu den Ereignissen des Karfreitags.
Avag Urbat (Ավագ Ուրբաթ) / Karfreitag – Gedenken an die Passion und Kreuzigung unseres Herrn Jesus Christus (Mt 26,31 – 27,56), sowie das Begräbnis Jesu (Mt 27, 57 – 66)
Avag Schabat (Ավագ Շաբաթ) / Karsamstag – Tschragaluyts (ճրագալույց) / Lichtmess zu Oster.
Vom Montag bis Mittwoch des Avag Schabat weisen die alttestamentlichen Lesungen und Gedenkfeiern in der Kirche auf:
- die Schöpfung, die Erschaffung des Menschen, seinen glückseligen Zustand im Himmel in der Gegenwart Gottes,
- den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies,
- die Geißel der Sünde Menschheit durch die Sintflut,
- die Einweihung der neuen Menschheit von Noahs Familie,
- Abrahams Bemühungen, die Bewohner von Sodom und Gomorra vor dem Zorn des Herr zu retten,
- Die Rettung der Familie von Lot.
Diese Lesungen machen auf die Notwendigkeit der Menschwerdung des Sohnes Gottes aufmerksam und erinnern uns daran, dass nur durch Sein Kommen und Seine Kreuzigung die Errettung der Menschheit ermöglicht wurde. Die neutestamentlichen Lesungen des Avag Schabat erinnern uns an die unmittelbaren Ereignisse der letzten Tage Jesu Christi vor seiner Kreuzigung.
Warum ist es aber so wichtig, die Kreuzigung zu gedenken? Der Hl. Johannes Chrisostomus (Սբ․ Հովհաննես Ոսկեբերան) sagt: „Das Kreuz hat den Tod vernichtet, die Sünde getilgt, der Hölle ihre Beute entrissen, des Teufels Macht gebrochen“. Während des Avag Schabats haben wir die Gelegenheit eine „Bestandsaufnahme“ unseres jetzigen Selbst im Vergleich zu unserem vergangenen und zukünftigen durchzuführen. Dabei ist es wichtig, aktiv an den Gottesdiensten des Avag Schabats teilzunehmen. Sie können uns helfen, den tieferen Sinn des Kreuzes, der Passion Christi besser zu verstehen. Durch die Reflexion über unser Leben können wir zu unserem besseren Selbst finden und die Bedeutung der Auferstehung Christi, welche aus christlicher Sicht für die Menschheit von fundamentaler Bedeutung ist, spüren.
„Indem wir uns in die Leiden unseres Heilands hineinversetzen, werden wir empfindsamer für das Leid anderer. Wir begreifen aber auch den Wert der Erlösung und die Tatsache, dass diese Erlösung nicht nur für uns, sondern für die gesamte Menschheit ist. Das Mitleid, das wir für die Leiden anderer empfinden, bekommt einen tiefen Sinn. Somit können wir in unserer geistlichen Entwicklung einen wichtigen Schritt nach vorn machen und unsere Herzen und Seelen für ein neues Leben mit und in Christus zu öffnen. Durch die Teilhabe an Seiner Passion können wir uns selbst zum Besseren verändern.
Die Pilgerschaft durch die Große Fastenzeit führt uns zu der Erneuerung, zu einem neuen Leben durch die Auferstehung Christi. Schritt für Schritt kommen wir zu diesem heiligen Tag des unsagbaren Lichtes und dürfen während des Avag Schabats intensiver uns damit befassen, was der Heilige Gott, der Starke Gott, der Unsterbliche Gott für uns tut. Erfüllt mit dieser Kenntnis kommen wir zum Zadig, zum Heiligen Fest der Auferstehung des Herrn, der uns befreit und uns Leben in der Ewigkeit schenkt. Wenn wir jedoch nicht bereit sind das Wesen hinter diesem Fest zu begreifen, ihre Bedeutung für unser Leben hier und jetzt zu spüren, wird das Fest für uns zu einem gewöhnlichen freien Tag, ohne besondere Bedeutung“ – so Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan. Der Pfarrer der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg lädt Ihre Gemeinde ein, wo möglich an den Gottesdiensten teilzunehmen, sich Zeit zu nehmen, die Tageslesungen durchzulesen und zu beten.
Auf unserer Web-Seite veröffentlichen wir jeden Tag die Tageslesungen des Avag Schabat und geben eine kleine Erklärung über den Inhalt des jeweiligen Tages.