Liebe Schwestern und Brüder,
Քրիստոս ծնաւ եւ յայտնեցաւ, ձեզ եւ մեզ մեծ աւետիս
Christus ist geboren und erscheinen, große Freude für euch und für uns!
Mit diesem Gruß begrüßen sich armenische Christen in der Weihnachtszeit und zünden ihre Kerzen an, die das Dunkel vertreiben sollen. Lieder die Wärme strahlen werden gesungen. Geschichten werden erzählt, die uns rühren und zu guten Taten begleiten.
Unzählig sind solche die Geschichten, die vor allem über die wundervolle Kraft der Liebe berichten. Selbstverständlich hat jeder von uns auch seine Lieblingsgeschichten genauso wie sehr persönliche Liebesgeschichte.
Eine meiner Lieblings-Weihnachtsgeschichten ist „Das Geschenk der Weisen“ des amerikanischen Schriftstellers O. Henry. Ein junges Ehepaar lebt bitterarm doch beide lieben einander und jeder ist bemüht dem anderen das Beste zu geben. Am nächsten Tag ist Weihnachten. Della möchte ihrem Mann ein besonderes Geschenk machen: eine Kette für seine kostbare Taschenuhr. Sie hat dafür aber nicht genug Geld. Sie lässt ihr schönes, knielanges Haar abschneiden und verkauft es an einen Perückenmacher, um mit dem Geld die Kette zu kaufen. Jim wiederum verkauft seine wertvolle Uhr, um für Della ein juwelenverziertes Kamm-Set aus Schildpatt zu schenken für ihr wunderbares Haar.
Am Weihnachtsabend stehen beide mit ihren Geschenken voreinander und keiner von beiden kann sein Geschenk mehr gebrauchen. Doch nicht das materielle Geschenk ist wichtig, sondern die Liebe die durch diese Geschenke zum Ausdruck gebracht werden. Natürlich würden die heutigen Wirtschaftsexperten uns beweisen können, dass diese Geschenke keine vernünftigen Investitionen waren und man das Geld in bitterer Armut für etwas anderes einsetzen könnte. Doch die Weisheit dieser Geschichte entspringt der Liebe. Hier leitet die Liebe zwei Menschen die sich restlos lieben. Ja, es mag sein, dass die Liebe und aus ihr entstandenen Werke manchmal unvernünftig scheinen können, aber am Ende wissen wir, dass die Weisheit der Liebe, auch wenn sie unbegreiflich verrückt erscheint, die wahre Weisheit ist. Denn der Apostel sagt: „Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1Kor 13,3).
Die Fähigkeit zu lieben ist einer der größten Gaben des Herrn an uns, Menschen. Eine Eigenschaft, die uns Ihm ähnlich macht, wenn wir diese Fähigkeit nutzen. Erstaunliches und wunderbares entsteht aus Liebe heraus. Ja sie ist manchmal auch verrückt und stellt alles auf den Kopf. Nicht mehr das, was anscheinend vernünftig vorgeplant war ist wichtig, sondern das, was aus der Liebe heraus richtig zu sein scheint. Und wie Paulus besonders schön sagt: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf“ (1. Kor 13, 4-8).
Warum sprechen wir aber an Weihnachten über die Liebe? Wir tun es, weil alle Liebesgeschichten der Welt zusammen genommen nicht das beschreiben können, was wir an diesem Tag erleben: Die unbegrenzte Liebe Gottes uns, den Menschen gegenüber. Der Hl. Apostel und Evangelist Johannes sagt im Prolog des Evangeliums „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16). Seine Liebe uns gegenüber wird im neugeborenen, schutzlosen Kind, der in Bethlehem unter ärmsten Bedingungen, zur Welt kommt, sichtbar. Und diese Liebe bewegt die Herzen der Menschen. Jeder versucht ein bisschen besser zu sein, ein bisschen mehr zu Lieben und ein bisschen mehr seine Liebe zum Ausdruck zu bringen. Und wir begreifen, dass die Liebe allen die Welt verändern kann. Und zwar die Liebe, die in der reinen und makellosen Liebe Gottes ihren Ursprung hat.
Über diese makellose Liebe spricht der Hl. Apostel Johannes, wenn er den Grund nennt, wieso der Ungreifbare, der Unfassbare, der Allerfüllende, der Ewige und der Mächtige Gott selbst den Himmel „verlässt“ und in vollkommener Weise Mensch wird. So verstehen wir erneut, dass all Seine Schöpfung Gut ist und er die Schöpfung liebt. Besonders gilt seine Liebe dem Menschen, den Er als Krone Seiner Schöpfung nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat. Und es ist Sein Wille, dass die Menschen das ewige Leben haben! Daher ist es selbstverständlich, dass es der Wille Gottes ist, dass auf der Welt Frieden herrscht, dass jeder die unantastbare Würde des anderen beachtet, dass der Reiche dem Armen hilf, dass jeder genug zum Essen und Trinken hat, dass der Mensch nicht nur konsumiert und an sich denkt, sondern sich auch um die Schöpfung Gottes und die Bewohner dieser Schöpfung kümmert. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Gott zeigt es nicht durch Gebote und Befehle, sondern Er macht es vor, in dem Er selbst aus Seiner unbegrenzten endlosen Liebe heraus zum Menschen wird, in Zeit und Raum eintritt, sich den menschlichen Lebensbedingungen unterwirft. So ist uns heute „in der Stadt Davids der Retter geboren“ (Lk. 2, 11). Als kleines neugeborenes Kind wird der Sohn Gottes zum Menschen. Der Wahre Gott wird wahrer Mensch und vereint diese zwei vollkommenen Naturen in der Person Jesu Christi.
Wer ist der Mensch, dem das neugeborene Kind das Herz nicht berühren kann? Ist es nicht so, dass gerade die Kinder, diese schutzlosen und auf unsere Fürsorge angewiesenen Wesen uns lehren den Blick von uns selbst in oft größerer Achtung und Aufmerksamkeit auf den Anderen zu werfen. Mit der Geburt eines Kindes beginnt für die Eltern ein neues Leben. Verantwortung müssen sie übernehmen und sich um das Kind kümmern. Und zwar in großer restloser Liebe, die bereit ist das eigene Ich ein bisschen zurückzustellen für das Wohl des anderen, des Schwachen, des Schutzlosen.
In Betlehem wird nicht nur Maria und Josef ein Neuanfang angeboten, sondern der gesamten Menschheit. Allen, die waren, die sind und die noch kommen werden. Mit diesem Neuanfang soll die Liebe zum Prinzip des Zusammenlebens werden. Niemals war dies so lebensnotwendig wie heute. In unserer hedonistischen, egoistischen, oft gottlosen Welt, wo Menschen nur mit sich selbst beschäftigt sind, würden die Liebe und die Werke die daraus entstehen nur guttun.
Heute bekommt jeder von uns eine Einladung von Gott. Eine Einladung in sein Himmelreich. Er kommt vom Himmel hinab auf die Welt, um uns in den Himmel zu begleiten. Auf dem Weg dorthin sollten wir lernen so zu lieben, wie er uns geliebt hat, so zu handeln, wie er gehandelt hat. Auf diesem Weg sollten wir lernen die Welt und die Weltbewohner, die gesamte unsichtbare und sichtbare Schöpfung mit anderen Augen zu sehen. Nicht mit denen, die uns Kapitalismus, Materialismus oder eine andere von Menschen erfundene Utopie belehren, sondern mit den liebenden Augen Gottes. Habt keine Angst diese Einladung anzunehmen und manchmal auch in Augen dieser Welt „verrückt“ zu sein, denn sie wissen ja, dass dies nur der Anschein ist, weil alles aus in der Liebe gründet, die Wahre Weisheit ist.
Möge also heute auch in euren Herzen der Heiland einen Platz finden, damit mit seiner Geburt in euren Herzen auch ihr die wundersame Wirkung der grenzenlosen Liebe Gottes fühlen und von dieser Liebe entzündet bereit sind neue Werke zu vollbringen in Namen der Heiligen Dreifaltigkeit, im Namen der Liebe. Und möge der Segen des neugeborenen Heilands zart mit euch und mit euren Lieben, mit der Welt und mit unserer kleinen Gemeinde sein. Amen.
Pfr. Dr. Diradur Sardaryan