Das Wort ist Fleisch geworden…
Weihnachtspredigt
von Pfrarrer Dr. Diradur Sardaryan
06. Januar 2024, Göppingen
Liebe Schwestern und Brüder,
Liebe Freunde,
in einer sich so rasant entwickelten Welt gibt es so vieles, was uns sprachlos macht. Gutes sowie schlechtes. Situationen, in denen uns Worte fehlen. Situationen, wo wir sagen: „Ich bin schlichtweg sprachlos.“ Was hat uns im vergangenen Jahr sprachlos gemacht? Ereignisse in der Welt, Ereignisse am Arbeitsplatz oder in der Gemeinde, Ereignisse im familiären Kreis… Nehmen Sie sich heute Abend ein bisschen Zeit und denken Sie über diese Frage nach.
Mich hat die Situation um unsere Landsleute in Arzach und Armenien sprachlos gemacht. Aber auch der Mut vieler Menschen, die tapfer gegen die Ungerechtigkeit kämpfen. Sprachlos macht mich der Verlust geliebter Menschen. Sprachlos macht mich manchmal auch meine Machtlosigkeit gegenüber all dem, was kommt und was ich dankbar annehme, ob gutes oder schlechtes. Denn in solchen Momenten der Sprachlosigkeit gibt es für mich eine Befreiung: das rettende Wort Gottes, den ich euch predige.
Das Wort Gottes kann mitten durch die Dunkelheit einer Not hindurch strahlen und Hoffnung schenken. So hat das Gebet des Hauptmanns von Kafarnaum an Jesus Christus (Mt 8, 5-13), sich zu einem festen Bestandteil meines täglichen Gebets entwickelt: „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund…“. Denn ich habe durch die Erfahrung meiner Armenischen Apsotolischen Kirche, aber auch durch meine ganz persönliche Erfahrung mit Gott begriffen: Das entscheidende rettende Wort können wir uns nicht selbst zusprechen.
Das Wort, welches uns Erlösung, Hoffnung und Leben bringt, wurde uns mitgeteilt. Gott hat es ausgesprochen: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“ (Joh 1, 1). Gott wählt seine Worte bedacht. Es erinnert an den Morgen der Schöpfung, als Gott sprach und es geschah. Nur wird das Wort Gottes als Mensch geboren! Damit ist alles gesagt, denn: „In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis“ (Joh 1, 4).
Wenn wir intensiv darüber nachdenken, betend nachdenken, so wird uns bewusst, dass Licht Leben bedeutet. Gottes Wort ist Licht und Leben. Und dieses Wort Gottes hören wir nicht mehr vom oben nach unten. Nein. In Jesus Christus spricht Gott zu uns auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch, von Du zu Du.
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Das bedeutet, er ist ein Mensch wie wir. Er ist einer von uns geworden. Er ist nicht in eine Traumwelt, nicht in eine virtuelle Welt eingetreten. Der Sohn Gottes kommt in unsere Welt, so wie sie ist. Aber er kommt, um sie zu ändern. Er kommt, um unsere Not zu wenden. Er kommt, um die Tränen zu trocknen, die Wunden zu heilen und uns das Heil zu schenken.
Manch einer wird fragen: Kann er das wirklich? Hat er nicht vermeintlich einen großen Fehler begangen, indem er als ein kleines, schwaches Kind erscheint, das selbst der Hilfe bedarf? Können wir unsere Wunden heilen, wenn wir unser Vertrauen auf ihn setzen? Nach dem unsere Landsleute aus Arzach aus ihren Häusern vertrieben wurden, sprach ich in meiner Predigt darüber, dass wir unsere Hoffnung auf Gott setzen sollten, damit Er uns Kraft schenkt, gegen diese Ungerechtigkeit zu kämpfen. Einer unserer Gemeindemitglieder reagierte mit einem Kommentar und sagte einfach: „Blödsinn“.
Anscheinend sprach er das aus, was viele denken. Nämlich, dass, um die Welt zu verändern, sei weltliche Macht notwendig, denn nur so könnte man zuzupacken, Ordnung schaffen. Will man erforderlich sein, soll man bereit sein, sogar Gewalt anzuwenden.
Doch ist es tatsächlich so? Haben die Mächtigen dieser Welt tatsächlich jemals erfolgreich die Not der Welt durch den Einsatz von Gewalt gelöst? Haben Hass und Krieg jemals die Ungerechtigkeit zu einer Gerechtigkeit umgewandelt?
Die Geschichte der Menschheit zeigt: wenn es auf dieser Erde irgendwo besser geworden ist, dann nur aufgrund der Liebe. Nur deshalb, weil Menschen geliebt haben. Liebe, liebe Schwestern und Brüder, so sagte auch unser Katholikos Vazgen I. den Gründungsvätern der unabhängigen Republik Armenien im Jahre 1991, ist der Weg, der zur Erlösung führt. Darüber predigt auch unser heutiger Katholikos, Karekin II. Denn sie wissen, die Liebe ist der Weg, den Gott an Weihnachten eingeschlagen hat. Er wendet unsere Not nicht durch Gewalt, sondern indem er sie mit Liebe überwindet, so wie das Licht geräuschlos, aber siegreich die Finsternis vertreibt.
Die größte Finsternis ist machtlos gegenüber dem kleinsten Licht. Wo auch nur eine Kerze entzündet wird, muss die Finsternis weichen. Weihnachten verkündet uns: Gott hat mit der Geburt seines Sohnes aus der Jungfrau Maria inmitten der Dunkelheit unserer Welt ein Licht entfacht.
Weihnachten ruft uns zu: Christus, das Licht ist da! Es mag zwar noch Nacht sein, aber inmitten der Dunkelheit erstrahlt das Licht. Und keine Macht und keine Nacht der Welt wird jemals dieses Licht auslöschen können.
Herodes scheiterte in seinem Versuch, dieses Kind loszuwerden, trotz seines entschiedenen Wunsches. Seine Bemühungen blieben erfolglos. Später versuchten es andere erneut, als sie ihn ans Kreuz nagelten. Doch selbst durch den Tod konnten sie ihn nicht auslöschen. Solange wir als Volk und Gemeinschaft uns an diesen unlöschbaren Licht festhalten, wird auch uns keine Macht dieser Welt auslöschen können. Denn das Licht der Weihnacht erlosch nicht einmal am Kreuz, sondern strahlte an Ostern noch heller auf! Es wird schließlich jede Finsternis vertreiben und die Welt neu gestalten.
Und welche Rolle spielen wir dabei? Wir können mitwirken, indem wir gemeinsam mit ihm die Not der Welt lindern. Indem wir das wärmende, heilende Licht seiner Liebe in uns aufnehmen und es als weihnachtliche Menschen durch unsere Herzen hindurch in die Herzen anderer strahlen lassen. Dabei werden wir die überlegene Kraft des Lichts über die Dunkelheit erfahren und so zu neuen, weihnachtlichen Menschen werden. Dies geschieht nicht aus eigener Kraft, sondern allein durch das, was Gott aus uns macht.
Und was macht er aus uns? Er macht uns zu seinen Kindern. Er spricht zu uns heute und sagt: handelt wie meine Kinder, predigt mein Wort denen, die mich noch nicht erkannt haben. Und genau wie ein Kind seinen Eltern verpflichtet ist, verdankt sich der neue, weihnachtliche Mensch allein Gott. „Allen aber, die ihn aufnehmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden. Allen, die… aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12f.).
Wie werden wir aber aus Gott geboren? Genau, indem wir das Weihnachtsgeschenk Gottes annehmen: Seinen Sohn. Indem wir ihn in unser Leben aufnehmen und so zu Kindern Gottes werden! Dann wird sich alles ändern, wirklich alles!
Denn auf diesem Weg entwickeln wir eine vertraute Beziehung zu Gott. Wir dürfen Gott nicht nur unseren Vater nennen, sondern er ist es tatsächlich. Durch unsere Taufe werden wir neugeboren in Christus. Durch die Kommunion empfangen wir ein Teil des Göttlichen. Durch ihn sind wir Schwester und Brüder, Kinder des himmlischen Vaters.
Diese Vertrautheit mit Gott schenkt eine tiefe Geborgenheit, die durch keine Erschütterung zerstört werden kann. Aus der Nähe zu Gott entspringt ein tiefer Frieden, der jegliche Unruhe und jeden Streit überstrahlt. Durch den vertrauten Umgang mit Gott erblüht Freude – Freude am Leben, Freude an Gott, Freude an den Menschen – eine Freude, die bleibt.
An Weihnachten nimmt Gottes Wort Fleisch an. Er wird Mensch und tritt in unsere Welt, um unser Herz zu erwärmen. Genauso wie jemand an unsere Seite tritt und sagt: Du kannst auf mich zählen. Ich lasse dich nicht allein. Du gehörst zu mir. Und ich gehöre zu dir. Und gerade diese Botschaft, liebe Schwestern und Brüder, nehme ich von euch an, und bringe in kommenden Tagen nach Armenien, zu den Ärmsten der Armen, um denen Hoffnung in Jesus Christus zu schenken und durch eure Spenden, zu ermöglichen, dass auch sie das Weihnachtswudner ganz konkret in Taten erkennen können.
Gott spricht heute zu uns. Sein Wort ist Mensch geworden. Sein Wort ist das Licht. Sein Wort rettet. Sein Wort schenk Hoffnung. Sein Wort ist das Leben ist.
Christus ist geboren und erschienen,
Frohe Botschaft für euch und für uns!
Amen.