Der Karsamstag ist ein Tag des Übergangs – eine Zeit zwischen den Zeiten, ein Atemholen zwischen dem Schrei am Kreuz und dem Jubel der Auferstehung. Die Liturgie dieses Tages entfaltet eine Theologie der heiligen Stille, in der Gottes mächtigstes Werk im Verborgenen geschieht.

Im Matthäusevangelium (27,62-66) versiegeln die Hohenpriester und Pharisäer das Grab und stellen Wachen auf – als könnte man das Leben selbst einsperren, den Schöpfer gefangen halten. Die Mächtigen versuchen, das letzte Wort zu behalten. Doch während sie ihre Macht demonstrieren, bereitet sich tief im Inneren des Felsgrabes das Unaussprechliche vor.

Die Lesungen dieses Tages spannen einen weiten Bogen: Von den Anfängen der Schöpfung (Genesis 1,1-3,24) bis zur Opferung Isaaks (Genesis 22,1-18), von den großen Propheten bis zu den Psalmen. Sie alle künden von diesem Grundmuster göttlichen Handelns: Wo menschlich gesehen alles verloren scheint, wirkt Gott seine größten Wunder.

Besonders eindrücklich ist die Lesung aus dem Buch Exodus (14,24-15,21), die vom Durchzug durch das Rote Meer erzählt. In der Ostnacht der armenischen Tradition erkennen wir in diesem uralten Ereignis ein Vorzeichen dessen, was in der Auferstehung Christi geschieht: Der Weg durch den Tod führt ins Leben.

Und dann, im ersten Morgenlicht des Sonntags, ereignet sich das Unbegreifliche. „Am ersten Tag der Woche kamen Maria aus Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen“ (Matthäus 28,1). Sie kommen, um einen Toten zu betrauern – und begegnen dem Leben selbst. Der Engel verkündet die Botschaft, die die Welt für immer verändert hat: „Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“

Die Auferstehung Christi ist mehr als die Wiederbelebung eines Leichnams. Sie ist kosmisches Ereignis, Neuschöpfung, Überwindung des Todes selbst. Jesaja hatte es vorausgesehen: „Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht“ (Jesaja 25,8). In Christus wird diese uralte Verheißung Wirklichkeit.

Die Osterliturgie feiert diesen Sieg mit allen Sinnen – mit Licht und Weihrauch, mit Gesang und Licht-Prozession. Die Botschaft wird nicht nur verkündet, sondern erfahrbar gemacht: Christus ist auferstanden! Der Tod hat seine Macht verloren!

Doch was bedeutet dieses Ereignis für uns, jenseits theologischer Formeln und liturgischer Feiern? Es bedeutet nichts weniger als dies: Keine Finsternis ist endgültig. Kein Grab hat das letzte Wort. Keine Niederlage ist unumkehrbar. Der Gott, der am dritten Tag den schweren Stein weggerollt hat, kann auch heute noch die schwersten Lasten von unseren Herzen nehmen.

Die Auferstehung ermutigt uns, mit neuen Augen zu sehen: Die Risse in unserem Leben sind nicht nur Orte des Bruches, sondern können zu Eingangstoren des Lichts werden. Wo wir nur Ende sehen, sieht Gott Anfang. Wo wir nur Verlust beklagen, bereitet er Verwandlung vor.

„Քրիստոս յարեաւ ի մեռելոց!“ – „Christus ist auferstanden von den Toten!“ Mit diesem uralten Ostergruß der armenischen Kirche begrüßen wir einander und bekennen: Der Weg vom Dunkel ins Licht der Auferstehung ist nicht nur ein historisches Ereignis, sondern ein Weg, der uns allen offensteht – heute und jeden Tag unseres Lebens.