Der Neue Sonntag:
Vom Zweifel zum Glauben
Was ist Krknazatik oder Nor Giragi?
In der armenischen Kirche wird der erste Sonntag nach dem Osterfest „Krknazatik“ (Կրկնազատիկ) oder „Nor Giragi“ (Նոր Կիրակի) genannt, was so viel bedeutet wie „erneuertes Ostern“ oder „neuer Sonntag“. Diese Bezeichnungen verdeutlichen, dass die Osterfreude nicht mit dem Ostertag endet, sondern weiterwirkt und in der Liturgie bewusst erneut gefeiert wird. In der westlichen Kirche wird dieser Tag ähnlich als „Weißer Sonntag“ bezeichnet, ein Hinweis auf die weißen Taufgewänder der Neugetauften.
Krknazatik markiert den Beginn eines neuen Abschnitts im Kirchenjahr: die Zeit der erneuerten Hoffnung, der vertieften Freude und des bewussten Lebens aus der Kraft der Auferstehung Christi. Die geistliche Botschaft dieses Sonntags ist: Das Wunder der Auferstehung soll nicht nur gefeiert, sondern im eigenen Leben weitergetragen werden.
Warum heißt es „Neuer Sonntag“?
„Neu“ heißt hier nicht nur „ein weiterer Sonntag“, sondern „eine neue Schöpfung“. Wie im Frühling die Natur neu auflebt, so soll auch das Herz des Menschen erneuert werden. Krknazatik erinnert daran, dass die Auferstehung nicht ein vergangenes Ereignis ist, sondern eine lebendige Wirklichkeit, die jeden von uns heute und hier betrifft.
In der armenischen Tradition wird Krknazatik oft auch „Kriknazatik“ genannt — „das wiederholte, bestätigte Ostern“. Die Freude, die wir an Ostern erfahren haben, wird erneut in die Mitte gestellt, und wir werden eingeladen, sie tiefer zu verstehen und bewusst im Alltag zu leben.
Das Evangelium des Tages: Der Apostel Thomas und der Zweifel
Die Lesung am Krknazatik-Sonntag stammt aus dem Johannesevangelium (Joh 20,19–31) und berichtet von der Begegnung des auferstandenen Christus mit seinen Jüngern und speziell mit dem Apostel Thomas.
Thomas, der auch „Didymus“ (Zwilling) genannt wird, war bei der ersten Erscheinung Jesu nicht anwesend. Als ihm die anderen Jünger erzählten, dass sie den Herrn gesehen hatten, konnte er es nicht glauben. Er verlangte Beweise: die Male der Kreuzigung sehen und berühren zu dürfen. Acht Tage später, am neuen Sonntag, begegnet er dem auferstandenen Christus und bekennt ergriffen: „Mein Herr und mein Gott!“
Der tiefe Sinn des Zweifels
Thomas wird oft als „der Zweifler“ dargestellt. Doch sein Zweifel ist nicht Ausdruck von Sturheit oder Unglauben, sondern von leidenschaftlicher Treue. Thomas wollte keinen Irrtum annehmen, sondern die Wahrheit erkennen. Sein Herz war Christus treu ergeben, und gerade deshalb verlangte er nach Gewissheit.
Jesu Reaktion auf Thomas zeigt uns: Gott überfordert uns nicht. Er begegnet unseren Fragen, unseren Unsicherheiten, unserer Sehnsucht nach echtem Glauben. Thomas‘ Zweifel führt nicht zur Verurteilung, sondern zur größeren Glaubensfreude.
Was bedeutet das für uns heute?
- Zweifel sind nicht das Gegenteil von Glauben. Sie sind oft das Tor zu einem tieferen, reflektierten Glauben.
- Wahrer Glaube entsteht aus der Begegnung. Thomas wird nicht durch Argumente überzeugt, sondern durch die lebendige Begegnung mit Christus.
- Die Gemeinschaft der Kirche trägt und begleitet. Thomas bleibt Teil der Jüngerschar, auch in seinem Zweifel.
- Christus begegnet jedem individuell. Er kennt die Fragen unseres Herzens und antwortet uns auf eine Weise, die uns zum Glauben führt.
Die geistliche Einladung von Krknazatik
Krknazatik ruft uns dazu auf, mit offenen Augen und Herzen zu leben. Es fordert uns heraus, in den kleinen und großen Erfahrungen unseres Alltags nach der lebendigen Gegenwart Christi zu suchen. Es erinnert uns, dass der christliche Glaube nicht nur Tradition oder Ritus ist, sondern Begegnung, Leben, Erneuerung.
So wie die Natur sich jedes Frühjahr erneuert, so sind auch wir eingeladen, unser Innerstes neu werden zu lassen: mehr Glaube, mehr Hoffnung, mehr Liebe.
Ein Gedanke zum Mitnehmen
Vielleicht ist gerade das, was wir manchmal als Schwäche empfinden — unsere Fragen, unsere Zweifel — in Wirklichkeit eine Einladung zur größeren Nähe zu Gott. Denn auch Thomas — der Suchende, der Fragende — wurde zu einem der größten Zeugen des Auferstandenen.
Krknazatik ist darum nicht nur ein Fest des vergangenen Wunders — sondern eine Einladung:
Werde neu! Begegne Christus! Lebe aus dem Licht der Auferstehung!