Der Heilige Ghevond Yerets
und seine Gefährten

Armeniens heilige Rebellen im Kampf um Glaube und Freiheit

In der reichen Geschichte des Christentums gibt es unzählige Erzählungen, die von Mut, Glauben und Opferbereitschaft der Christen bezeugen. Eine davon ist die der Ghevondiants, einer Gruppe armenischer Geistlicher, die im 5. Jahrhundert ihr Leben für ihren christlichen Glauben gaben. Ihre Geschichte ist nicht nur ein zentrales Kapitel der armenischen Kirchengeschichte, sondern auch ein beeindruckendes Zeugnis des Widerstands gegen religiöse Unterdrückung. Angeführt von Ghevond Yerets (Ghevond dem Priester), sind sie bis heute ein Symbol für die Verbindung von Glauben und nationaler Identität.

Der Funke im Dunkel

Im Jahr 451, auf einem staubigen Schlachtfeld namens Avarayr, kämpften die Armenier nicht nur gegen Schwerter und Speere, sondern für etwas Größeres: ihren Glauben, ihre Kultur, ihre Existenz. Inmitten dieses Aufruhrs stand Ghevond Yerets, ein Priester mit der Stimme eines Löwen und dem Willen eines Unbeugsamen. Zusammen mit seinen Gefährten wurde er zur Ikone eines Volkes, das sich weigerte, vor der Unterdrückung zu kapitulieren. Ihre Geschichte ist ein Fenster in die Macht des Widerstands, die bis heute nachhallt, von den Bergen Armeniens bis zu den Konflikten unserer Zeit.

Das Land Armenien unter Druck

Im 5. Jahrhundert war Armenien kein Ort für schwache Nerven. Eingekeilt zwischen zwei titanischen Reichen – dem persischen Sassanidenreich im Osten und dem Byzantinischen Reich im Westen – war es weniger ein souveräner Staat als ein Zankapfel fremder Interessen. Diese geopolitische Zerrissenheit prägte das Land, das von den rauen Gipfeln des Kaukasus bis zu den fruchtbaren Tälern des Ararat ständig ums Überleben kämpfte. Doch Armenien war nicht nur ein Spielball – es hatte eine Identität, die tief in einem revolutionären Akt verwurzelt war: Im Jahr 301 erklärte König Trdat III. – oft als Tiridates bekannt – das Christentum zur Staatsreligion und machte Armenien zum ersten christlichen Land der Welt, lange bevor Rom diesem Weg folgte.

Dieser Schritt war ein Meilenstein, aber auch ein Risiko. Das Christentum wurde zum Herzstück der armenischen Kultur, ein Pfeiler, der das Volk zusammenhielt, während seine Nachbarn ihre eigenen Pläne schmiedeten. Im Westen festigte Byzanz unter Konstantin seine christliche Macht, während im Osten die Sassaniden unter ihren Großkönigen an einer anderen Vision festhielten: einem Reich, geeint unter dem Zoroastrismus, der Religion des Feuers. Für die Perser war Armenien ein Dorn im Auge – ein christlicher Vorposten in einem Gebiet, das sie kontrollieren wollten.

Als Yazdegerd II. im Jahr 438 den persischen Thron bestieg, verschärfte sich die Lage. Sein Ziel war klar: die religiöse und politische Einheit seines Reiches zu sichern. Der Zoroastrismus, mit seinen Feuertempeln und heiligen Ritualen, sollte nicht nur eine Option, sondern ein Befehl werden – auch für die Armenier. Historiker wie Yeghishe schildern, wie Yazdegerd seine Politik mit eiserner Hand durchsetzte: Gesandte wurden geschickt, Drohungen ausgesprochen, und bald folgten Taten. Kirchen wurden geschändet oder zerstört; Dörfer sahen sich gezwungen Feueraltäre zu errichten, während Priester und Gläubige vor die Wahl gestellt wurden: Konversion oder Konsequenzen.

Doch die Armenier beugten sich nicht. Ihr Glaube war mehr als eine Religion – er war ein Bollwerk gegen die Fremdherrschaft, ein Anker in einer Welt, die sie zu verschlingen drohte. Schon damals regte sich Widerstand, angeführt von Männern wie Ghevond Yerets, einem Priester, dessen Name bald in goldenen Lettern in die Geschichte eingehen sollte.

Ghevond Yerets:
Der Priester, der zur Legende wurde

Ghevond Yerets war kein gewöhnlicher Priester – er war eine Kraft der Natur. Geboren in Idschawan im Bezirk Vanand (heute in der Türkei), war er einer der ersten und wichtigsten Schüler von Mesrop Mashtots und Sahak Parthev, den Schöpfern des armenischen Alphabets und Pionieren der christlichen Bildung in Armenien. Mit über 70 Jahren, als er sein Martyrium erlitt, war Ghevond ein Veteran des Glaubens – ein Redner voller Feuer, ein Anführer, der die Menschen in Zeiten der Krise zusammenhielt. Der Historiker Yeghishe nennt ihn den „Adler von Avarayr“, eine treffende Beschreibung für seine Rolle in der Schlacht von 451, wo er die armenischen Kämpfer mit seiner unerschütterlichen Überzeugung inspirierte.

Ein entscheidender Moment seines Lebens ereignete sich im Dorf Angegh, nahe der persischen Grenze. Persische Magier drangen in das Dorf ein, entschlossen, die christliche Kirche in einen zoroastrischen Feuertempel (Atrushan) umzuwandeln. Ghevond stellte sich an die Spitze des Widerstands. Mit den Dorfbewohnern bewaffnet mit Stöcken, Steinen und landwirtschaftlichen Geräten – wie der armenische Text es drastisch beschreibt: „sie zerschlugen die Köpfe der Magier und ihrer Anführer“ – vertrieben sie die Eindringlinge aus dem Dorf. Das war kein bloßer Zufall: Es war ein Signal, dass der Glaube der Armenier nicht kampflos untergehen würde. Danach wurde Ghevond zum untrennbaren Gefährten und wichtigsten Berater des Katholikos Hovsep, eine Schlüsselfigur im gesamten Widerstand gegen die persische Unterdrückung.

Der armenische Patriarch Malachia Ormanian hebt Ghevonds Rolle hervor: „Mit seiner Begabung und seinem Talent als Redner war er stets der Hauptsprecher – sei es im Heer von Avarayr, vor dem Gericht in Tizbon oder bei den Verhören in Revan.“ Das Werk Liakatar Vark Srpots („Vollständige Lebensbeschreibung der Heiligen“) preist ihn weiter: „Er war ein Mann, erfüllt vom Heiligen Geist, mit reichhaltiger und erleuchteter Lehre, die die Priester und Adligen unseres Landes wappnete, damit sie mutig gegen die Feinde des Glaubens kämpften und ihr Leben furchtlos für die Liebe zu Christi Kirche opferten.“ Die Perser selbst sahen in Ghevond den Urheber des Widerstands und richteten ihren ganzen Zorn auf ihn. Eine Anekdote aus Liakatar Vark Srpots erzählt sogar, wie Mesrop, sein Schüler Koriun und ein gewisser Ardzan einst sahen, dass ein grelles Licht Ghevond im Schlaf umgab – ein Zeichen, dass er für das Martyrium bestimmt war.

Avarayr:
Der Anfang eines Sieges

Die Schlacht von Avarayr im Jahr 451 war kein klassischer Triumph. Unter Vardan Mamikonian stellte sich eine zahlenmäßig unterlegene armenische Armee der persischen Übermacht – und verlor. Doch dieser Kampf war mehr als ein militärisches Gefecht; für die Armenier war es ein spiritueller Akt, wie der Historiker Yeghishe schreibt. Der Widerstand brach den Willen der Perser nicht sofort, aber er legte den Grundstein für etwas Größeres.

Nach der Schlacht wurden Ghevond Yerets, Hovsep Katholikos, andere Priester und 37 armenische Adlige von den Persern gefangen genommen und nach Tizbon (Ktesiphon), der persischen Hauptstadt, gebracht. Dort wurden sie schwerer Verbrechen beschuldigt: Sie hätten die heiligen Feuer der Zoroastrier getötet („Feuertöter“) und den Krieg angezettelt. Zuerst kamen sie in die Stadt Niushapuh ins Gefängnis, dann wurden sie auf dem Weg ins Exil gefoltert – alles mit einem Ziel: sie sollten Jesus Christus verleugnen. Doch ihre Antwort war ein unerschütterliches Nein. Yeghishe erzählt, dass Ghevond, als er sah, dass die Perser keine Einzelverhöre planten, sondern eine sofortige Massenhinrichtung anordneten, zu Hovsep sagte: „Geh du zuerst zum Schwert, denn du bist der Höchste unter uns.“ Es war ein Moment der Demut und des Glaubens zugleich. Der persische Beamte Denshapuh gab schließlich den Befehl, und Ghevond, Hovsep und ihre Gefährten wurden enthauptet.

Ihr Tod war kein Ende, sondern ein Anfang des Sieges. Historiker wie Malachia Ormanian sehen darin einen Wendepunkt: Das Opfer der Ghevondianer zeigte den Persern, dass die Armenier nicht zu brechen waren. Tatsächlich führte ihr Martyrium dazu, dass Persien 484 im Vertrag von Nvarsak den Armeniern Religionsfreiheit zugestand. Der Widerstand von Avarayr und das Blut der Märtyrer hatten die Saat für eine unbezwingbare Identität gelegt.

Ein Echo, das bleibt:
Der Ghevondiants-Tag und seine Botschaft

Die Ghevondiants sind keine verstaubten Figuren aus alten Büchern – ihre Geschichte pulsiert in der Gegenwart. Jedes Jahr feiert die Armenische Apostolische Kirche ihren Mut an diesem Tag, dem Dienstag vor dem Bun Barekendan der Großen Fastenzeit. In den Kirchen erklingen Sharakans, wunderschöne Hymnen wie „Lusaworichn amenetsun Ghevondie Surb vardapetn“ („Der Erleuchter aller, Ghevond, der heilige Lehrer“), während Priester die Heilige Liturgie zelebrieren. Es ist ein bewegendes Bild: die Geistlichen werden geehrt – ein Tribut an jene, die der Kirche und ihrem Glauben ihr Leben widmeten. Doch die Zeitstellung dieses Festes birgt eine tiefere Bedeutung. Die Schlacht von Avarayr fand im Mai 451 statt, aber die Kirche platziert die Gedenktage der Heiligen Ghevondiants und Vardanants bewusst vor der Großen Fastenzeit. Warum? Weil diese Zeit ein Kampf ist – ein Ringen um die Bewahrung des reinen Glaubens, das uns physisch und geistlich bereit macht, für ein Leben in Ehre und Würde einzustehen.

Dieser Gedanke trifft heute einen Nerv. In Armenien und seiner Diaspora lebt die Erinnerung an Widerstand und Opfer weiter. Die jüngsten Ereignisse in Berg-Karabach, wo 120 000 Menschen vertrieben wurden und wir ein Stück unserer Heimat verloren haben, wo kulturelle Stätten Schaden nahmen, rufen Parallelen zu den Bedrohungen des 5. Jahrhunderts wach – Zeiten, in denen der Glaube und die Identität eines Volkes auf die Probe gestellt wurden. Doch der Ghevondiants-Tag ist kein Aufruf zur Verbitterung, sondern eine Erinnerung daran, dass Standhaftigkeit Früchte trägt. Er ehrt nicht nur die neun Märtyrer – Ghevond Yerets, Hovsep Katholikos und ihre Gefährten –, sondern alle, die sich für etwas Größeres einsetzen.

Die Botschaft reicht über Armenien hinaus. Sie spricht zu Menschen weltweit, die unter Druck stehen – sei es Christen, die in Krisengebieten ihren Glauben verteidigen, oder Gemeinschaften, die ihre Wurzeln gegen Vergessen schützen. Armenische Historiker beschreiben die Ghevondiants Kampf als „Symbol der Verschmelzung von Glauben und Nation“ – eine Idee, die in unserer Zeit, in der Identitäten oft herausgefordert werden, nichts an Kraft verloren hat. Für die Armenier ist die Große Fastenzeit, die auf diesen Tag folgt, mehr als Verzicht: Sie ist ein Spiegel der Opfer von Avarayr, ein Aufruf, sich innerlich zu wappnen, um mit Reinheit und Mut für das zu kämpfen, was Leben und Erfüllung schenkt. So wird der Ghevondiants-Tag zu einer Brücke – zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen physischem Widerstand und spiritueller Stärke.

Die Ghevondiants waren keine Heiligenbilder aus alten Büchern. Sie waren Menschen – Priester, Bischöfe, Diakone –, die entschieden, dass Freiheit etwas besonderes ist. Ihre Geschichte ist eine Einladung, über unsere eigenen Überzeugungen nachzudenken: Was sind wir bereit zu verteidigen, in einer Zeit, in der Identität, ob national oder religiös, oft angegriffen wird?

Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Gemeindepfarrer