Von der Schöpfung zur Auferstehung:

Die Schöpfung als göttliche Ordnung

1. Woche, Montag (3. März 2025)

Biblische Lesung für den Tag:
Genesis 1-3; Johannes 1:1-5

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ (Gen 1,1) Mit diesen Worten beginnt nicht nur die Heilige Schrift, sondern auch unsere Beziehung zum Göttlichen. Die Schöpfungserzählung ist nicht primär als naturwissenschaftliche Erklärung zu verstehen, sondern als theologische Offenbarung einer fundamentalen Wahrheit: Die Welt ist nicht durch Zufall oder blinde Notwendigkeit entstanden, sondern durch den bewussten Willen eines liebenden Schöpfers.

Die Fastenzeit beginnt bewusst mit dieser Betrachtung des Ursprungs. Denn bevor wir über Sünde, Umkehr und Erlösung nachdenken können, müssen wir verstehen, welche Ordnung durch die Sünde gestört wurde und zu welcher Ordnung wir zurückkehren sollen.

Die Schöpfungserzählung

Die Schöpfungsgeschichte enthüllt mehrere fundamentale theologische Wahrheiten, die das christliche Verständnis von Gott, Welt und Mensch prägen:

1. Creatio ex nihilo – Schöpfung aus dem Nichts

Anders als in vielen antiken Kosmogonien, in denen Götter aus vorhandenem Material erschaffen oder gegen chaotische Urmächte kämpfen, schafft der biblische Gott allein durch sein Wort: „Gott sprach: Es werde… und es ward“ (Gen 1,3ff). Diese Vorstellung der creatio ex nihilo (Schöpfung aus dem Nichts) wurde von den Kirchenvätern tief reflektiert. Sie betont die absolute Souveränität Gottes über alle Wirklichkeit und die radikale Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Der heilige Basilius der Große erklärt in seinen Homilien zum Hexaemeron (den sechs Schöpfungstagen): „Er schuf die Ursachen der Dinge und brachte alle Teile des Universums in einer einzigen Handlung hervor.“ Diese Einsicht übersteigt unser zeitliches Verständnis – die Schöpfung ist nicht nur ein vergangenes Ereignis, sondern eine fortwährende Beziehung zwischen Gott und Welt.

2. Schöpfung als geordneter Kosmos

Das griechische Wort „Kosmos“ bedeutet „Ordnung“ oder „Schmuck“ – ein Gegenbegriff zu „Chaos“. Die biblische Schöpfungserzählung beschreibt, wie Gott schrittweise Ordnung in die Welt bringt: Er trennt Licht von Finsternis, Wasser von Land, erschafft die Gestirne zur Zeitmessung und platziert jedes Lebewesen in seinen geeigneten Lebensraum.

Diese göttliche Ordnung ist nicht starr und mechanisch, sondern dynamisch und lebendig. Sie manifestiert sich in den Naturgesetzen, den biologischen Rhythmen und den ökologischen Gleichgewichten. Die Kirchenväter sprechen in diesem Sinne von den logoi – den göttlichen Gedanken oder Prinzipien, die in jedem Geschöpf wirken und es zu seinem wahren Zweck führen.

3. Die inhärente Gutheit der Schöpfung

Der refrainartige Satz „Und Gott sah, dass es gut war“ durchzieht den Schöpfungsbericht und gipfelt in der Feststellung: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Dies ist eine fundamentale Bejahung der materiellen Welt.

Diese biblische Perspektive steht im Kontrast zu dualistischen Weltanschauungen (wie dem Gnostizismus), die die materielle Welt als minderwertig oder böse betrachten. Die christliche Tradition bekräftigt dagegen, dass die physische Realität gut ist, weil sie von Gott geschaffen wurde. Dies bildet die Grundlage für ein mystisches Weltverständnis, in dem materielle Dinge (Wasser, Brot, Wein, Öl) zu Trägern göttlicher Gnade werden können.


Der Mensch als Mikrokosmos

„Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ (Gen 1,26) Mit diesen Worten erreicht die Schöpfungserzählung ihren Höhepunkt. Der Mensch nimmt eine besondere Stellung ein:

1. Gottebenbildlichkeit als ontologische Würde

Die Kirchenväter haben die Gottebenbildlichkeit des Menschen auf verschiedene Weise interpretiert: als Vernunftfähigkeit (Rationalität), als moralische Freiheit, als Beziehungsfähigkeit oder als kreatives Potential. Der heilige Johannes von Damaskus beschreibt den Menschen als ein Wesen, das „zwischen zwei Welten steht“ – der materiellen und der geistigen. Als einziges Geschöpf vereint der Mensch in sich beide Dimensionen der Schöpfung.

Diese Gottebenbildlichkeit ist keine Leistung, sondern ein Geschenk – sie konstituiert die unverlierbare Würde jedes Menschen, unabhängig von seinen Fähigkeiten, seinem moralischen Zustand oder seinem sozialen Status.

2. Der Mensch als Priester der Schöpfung

Gott setzt den Menschen in den Garten Eden, „damit er ihn bebaue und bewahre“ (Gen 2,15). Dieser Auftrag ist weder eine Erlaubnis zur Ausbeutung noch eine bloße Konservierung. Der Mensch soll als Mittler zwischen Gott und Schöpfung fungieren – er soll die Schöpfung zu Gott erheben und Gottes Segen in die Schöpfung bringen.

Der Theologe Alexander Schmemann beschreibt den Menschen als „eucharistisches Wesen“ – berufen, die Welt in Dankbarkeit zu empfangen, sie durch kulturelle und technische Aktivität zu transformieren und sie als Gabe an Gott zurückzugeben. Diese priesterliche Funktion offenbart den tieferen Sinn menschlicher Arbeit und Kultur.

3. Der kosmische Mensch und die kosmische Christologie

In der patristischen Tradition der Ostkirche wird der Mensch als „Mikrokosmos“ verstanden – als eine Zusammenfassung des gesamten Universums in einer Person. Der Mensch vereint in sich alle Elemente und Dimensionen der Schöpfung und ist daher berufen, als Vermittler kosmischer Einheit zu fungieren.

Diese anthropologische Vision findet ihre Vollendung in der kosmischen Christologie, wie sie im Kolosserbrief formuliert wird: Christus ist das „Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung“ (Kol 1,15), in dem „alles geschaffen wurde“ und in dem „alles Bestand hat“ (Kol 1,16-17). In der Inkarnation nimmt Gott selbst die geschaffene Natur an und heilt die durch die Sünde gestörte Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung.


Der Sündenfall und die gestörte Ordnung

Genesis 3 beschreibt, wie die ursprüngliche Harmonie der Schöpfung durch die menschliche Sünde gestört wird. Diese Störung betrifft alle Dimensionen:

1. Entfremdung von Gott

Die erste Folge des Sündenfalls ist, dass sich Adam und Eva vor Gott verstecken (Gen 3,8). Die unmittelbare Gottesbeziehung ist gebrochen. Der Mensch erlebt Gott nicht mehr als liebenden Vater, sondern als bedrohlichen Richter. Diese Gottesentfremdung ist die Wurzel aller anderen Entfremdungen.

2. Entfremdung von sich selbst

Adam und Eva erkennen ihre Nacktheit und schämen sich (Gen 3,7). Dies symbolisiert eine neue Form der Selbstwahrnehmung – geprägt von Scham, Angst und innerer Zerrissenheit. Der heilige Augustinus spricht von der concupiscentia – einer Unordnung der Begierden, bei der der Mensch nicht mehr Herr über seine eigenen Impulse ist.

3. Entfremdung voneinander

Die Harmonie der Geschlechterbeziehung wird gestört (Gen 3,16). Schuldzuweisungen treten an die Stelle von Verbundenheit. Dies ist der Anfang aller sozialen Konflikte – von Herrschaft und Unterwerfung, von Neid und Gewalt, wie sie in der Geschichte von Kain und Abel eskalieren werden.

4. Entfremdung von der Natur

Die Erde wird „verflucht“ (Gen 3,17-19) – die Arbeit wird mühsam, die Natur wird widerspenstig. Dies symbolisiert eine gestörte Beziehung zur natürlichen Umwelt, die nicht mehr automatisch mit dem Menschen kooperiert, sondern ihm Widerstand entgegensetzt.


Die Schöpfung als Anfang der Heilsgeschichte

Die Schöpfungserzählung ist nicht nur ein Bericht über den Anfang der Welt, sondern auch der Beginn der Heilsgeschichte. Schon im Paradies, unmittelbar nach dem Sündenfall, spricht Gott die erste messianische Verheißung aus: Der Same der Frau wird der Schlange den Kopf zertreten (Gen 3,15) – das sogenannte Protoevangelium.

Der heilige Irenäus von Lyon entwickelt in seinem Werk Adversus Haereses (Gegen die Häresien) das Konzept der recapitulatio (Zusammenfassung oder Wiederherstellung): Christus kommt, um das in Adam Verlorene wiederherzustellen und zu vollenden. Die Inkarnation ist somit die Fortsetzung und Vollendung der Schöpfung.

Die ostkirchliche Liturgie drückt diese Kontinuität poetisch aus: „Du hast uns aus dem Nichts ins Dasein gerufen und, als wir gefallen waren, wieder aufgerichtet und nichts unterlassen, bis Du uns in den Himmel geführt und uns Dein künftiges Reich geschenkt hast.“


Die Schöpfung in der modernen Welt:
Theologische Herausforderungen

Die biblische Schöpfungstheologie steht heute vor neuen Herausforderungen:

1. Dialog mit den Naturwissenschaften

Die wissenschaftliche Kosmologie (Urknalltheorie) und die biologische Evolutionstheorie bieten Erklärungsmuster für die Entstehung des Kosmos und der Lebewesen, die auf den ersten Blick im Widerspruch zur biblischen Erzählung stehen könnten.

Eine tiefere theologische Reflexion erkennt jedoch, dass die biblische Schöpfungserzählung keine wissenschaftliche Theorie, sondern eine theologische Deutung der Wirklichkeit ist. Sie beantwortet nicht die Frage nach dem „Wie“ (den Mechanismen der Weltentstehung), sondern nach dem „Warum“ und „Wozu“ (dem Sinn und Zweck der Schöpfung).

Der Theologe Teilhard de Chardin hat versucht, Evolution und Schöpfungsglauben zu integrieren, indem er die Evolution als den von Gott gewählten Weg versteht, durch den die Schöpfung sich auf den „Punkt Omega“ – die volle Vereinigung mit Christus – zubewegt.

2. Die ökologische Krise als theologische Herausforderung

Die gegenwärtige Umweltkrise stellt die Frage nach der Verantwortung des Menschen für die Schöpfung neu. Wurde der biblische Auftrag, sich die Erde „untertan zu machen“ (Gen 1,28), missverstanden als Legitimation zur Ausbeutung?

Der Patriarch Bartholomäus I., bekannt als der „Grüne Patriarch“, hat die Zerstörung der Umwelt als Sünde bezeichnet und zu einer „ökologischen Metanoia“ (Umkehr) aufgerufen. Die Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus entwickelt eine ganzheitliche Ökologie, die auf dem Verständnis der Schöpfung als Gabe und Verantwortung basiert.


Praktische Übungen für die Fastenzeit

Die theologische Betrachtung der Schöpfung lädt zu konkreten spirituellen Praktiken ein:

1. Kontemplative Naturbetrachtung

Nehmen Sie sich täglich Zeit, um die Natur bewusst wahrzunehmen – sei es ein Baum vor Ihrem Fenster, der Sternenhimmel oder die komplexe Struktur einer Blüte. Betrachten Sie diese nicht als bloße Objekte, sondern als Manifestationen göttlicher Weisheit und Schönheit.

2. Askese als ökologische Praxis

Das Fasten kann als bewusster Verzicht auf Konsumgewohnheiten verstanden werden, die der Schöpfung schaden. Überdenken Sie in dieser Zeit Ihren Umgang mit Nahrungsmitteln, Energie und materiellen Gütern. Reduzieren Sie Abfall, vermeiden Sie unnötigen Konsum und praktizieren Sie Dankbarkeit für die Gaben der Schöpfung.

3. Lektüre der Schöpfungspsalmen

Lesen Sie meditativ Psalm 8, 19, 104 oder 148 – Texte, die die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung preisen. Diese Psalmen können zu einem tieferen Verständnis der sakramentalen Dimension der Natur führen.

4. Verknüpfung von Schöpfung und Eucharistie

Reflektieren Sie über die Verbindung zwischen Schöpfung und Eucharistie: Die Gaben von Brot und Wein, „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“, werden zum Leib und Blut Christi. Diese Transformation ist ein Symbol für die Verklärung der gesamten Schöpfung in Christus.


Gebet zur Schöpfung

Ewiger Gott, Schöpfer aller Dinge,
Du hast durch dein Wort den Kosmos ins Dasein gerufen
und ihn mit Weisheit und Schönheit erfüllt.
Du hast uns als dein Ebenbild geschaffen
und uns berufen, verantwortliche Hüter deiner Schöpfung zu sein.

Vergib uns, wenn wir diese Berufung vernachlässigt
und deine Gaben missbraucht haben.
Öffne unsere Augen für die Wunder deiner Werke,
unsere Herzen für die Leiden der Schöpfung
und unsere Hände für heilendes Handeln.

Lehre uns in dieser Fastenzeit,
die Welt neu als dein Geschenk zu empfangen,
in Dankbarkeit mit ihr zu leben
und sie in Liebe zu bewahren.
Durch Christus, das ewige Wort,
durch das alles geschaffen ist. Amen.


Die kosmische Dimension der Fastenzeit

Die Fastenzeit ist nicht nur eine Zeit individueller Buße, sondern hat eine kosmische Dimension. Sie ist keine Strafe sondern Befreiung. Sie erinnert uns an unsere Verantwortung für die gesamte Schöpfung und lädt uns ein, zu der Ordnung zurückzukehren, die Gott am Anfang gestiftet hat.

Der Apostel Paulus schreibt, dass die ganze Schöpfung „seufzt und in Geburtswehen liegt“ und „sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes wartet“ (Röm 8,19.22). Unsere persönliche Umkehr und Heiligung hat Auswirkungen auf die gesamte Schöpfung.

So wird die Fastenzeit zum Vorgeschmack jener kosmischen Erneuerung, die die Offenbarung als „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offb 21,1) verheißt – eine Schöpfung, in der die ursprüngliche göttliche Ordnung vollkommen wiederhergestellt sein wird.

Pfr. Dr. Diradur Sardaryan