Von der Schöpfung zur Auferstehung:
Taufe als Neubeginn –
Die Wiederherstellung des Menschen in Christus
1. Woche, Donnerstag (6. März 2025):
Biblische Lesung für den Tag:
Johannes 3:1-17; Titus 3:4-7
Die Ontologie der geistlichen Wiedergeburt
Nach der Betrachtung der Schöpfung als ursprünglicher göttlicher Ordnung und des Sündenfalls als tragischer Zäsur in der Heilsgeschichte wenden wir uns nun dem göttlichen Heilshandeln zu: der Wiederherstellung des Menschen durch das Mysterium der Taufe. Die Taufe steht nicht isoliert als ritueller Akt, sondern bildet das mystische Fundament jener kosmischen Erneuerung, die mit der Menschwerdung Christi begonnen hat.
In der patristischen Tradition wird die Taufe als palingenesia (Wiedergeburt) und anakainosis (Erneuerung) verstanden – Begriffe, die der Apostel Paulus im Titusbrief verwendet: „Er hat uns gerettet durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit 3,5). Dies ist keine rhetorische Metapher, sondern beschreibt eine ontologische Transformation des Menschen, eine reale Neukonstitution seiner Existenz.
Der heilige Johannes Chrysostomus (347-407) verwendet ein bemerkenswertes Bild: „Was der Mutterschoß für den Embryo ist, das ist das Taufwasser für den Gläubigen.“ Wie das Kind im Mutterleib heranreift und schließlich in eine neue Welt geboren wird, so empfängt der Täufling im Wasser der Taufe eine neue Existenzweise, die ihn in die Wirklichkeit des Reiches Gottes einführt.
Die johanneische Theologie:
Das Gespräch mit Nikodemus
Die Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus bildet einen Schlüsseltext für das theologische Verständnis der Taufe. Nikodemus, ein „Lehrer Israels“ (Joh 3,10), repräsentiert die religiöse Bildung seiner Zeit, die jedoch an ihre Grenzen stößt, wenn es um das Mysterium der geistlichen Wiedergeburt geht.
„Wenn jemand nicht von Neuem (anothen) geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh 3,3). Das griechische Wort anothen trägt eine doppelte Bedeutung: Es kann sowohl „von Neuem“ als auch „von oben“ bedeuten. Diese semantische Ambiguität ist theologisch signifikant: Die Taufe ist sowohl ein Neuanfang als auch ein Empfangen einer Wirklichkeit, die „von oben“ kommt – aus der göttlichen Sphäre.
Die Verwirrung des Nikodemus („Wie kann ein Mensch, wenn er alt ist, geboren werden?“) spiegelt die Spannung zwischen natürlicher und übernatürlicher Ordnung wider. Jesus führt diese Spannung nicht auf, sondern vertieft sie, indem er von einer Geburt „aus Wasser und Geist“ spricht – eine klare Referenz auf die christliche Taufe, in der materielle und geistliche Elemente zu einer sakramentalen Einheit verschmelzen.
„Der Wind (pneuma) weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist (pneuma) geboren ist“ (Joh 3,8). Das Wortspiel mit pneuma (das sowohl „Wind“ als auch „Geist“ bedeutet) verweist auf das Mysterium der Taufe: Sie ist ein göttliches Wirken, das die Grenzen menschlicher Begreifbarkeit übersteigt, aber dennoch real erfahrbar ist.
Der Kirchenvater Didymus der Blinde (313-398) kommentiert: „Der getaufte Mensch ist wie ein Gefäß, das mit dem Heiligen Geist gefüllt wird, aber dieses Gefäß selbst wird transformiert durch das, was es enthält.“
Die paulinische Theologie:
Sterben und Auferstehen mit Christus
Während Johannes die Taufe als Wiedergeburt beschreibt, betont Paulus ihre Verbindung mit dem Paschamysterium Christi: „Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in einem neuen Leben wandeln.“ (Röm 6,3-4)
Für Paulus ist die Taufe nicht nur ein Reinigungsritual, sondern eine reale Partizipation am Heilsgeschehen – ein mystisches Eintreten in den Tod und die Auferstehung Christi. Der Kirchenvater Ambrosius von Mailand (339-397) entwickelt diese Perspektive in seinen „Katechesen über die Mysterien“: „Dreimal wurdest du untergetaucht, um das dreitägige Begräbnis Christi nachzuvollziehen; und dreimal stiegst du empor, um seine Auferstehung darzustellen.“
Diese Teilhabe am Paschamysterium Christi hat existenzielle Konsequenzen für den Getauften: „Denn wenn wir mit der Gestalt seines Todes verbunden wurden, dann werden wir es auch mit der seiner Auferstehung sein“ (Röm 6,5). Der heilige Cyrill von Jerusalem (313-386) erklärt in seinen mystagogischen Katechesen: „Die Taufe ist nicht nur ein Abwaschen von Sünden und ein Empfangen der Gnade, sondern auch ein Antitypos (mystisches Abbild) des Leidens Christi.“
In dieser paulinischen Perspektive wird die Taufe zum fundamentalen Lebenswechsel – vom Leben „im Fleisch“ (unter der Herrschaft der Sünde) zum Leben „im Geist“ (unter der Herrschaft Christi). Der Getaufte ist nicht mehr derselbe – er ist, wie Paulus sagt, eine „neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17).
Das Bad der Wiedergeburt
und die Gemeinschaft der Heiligen
Die Taufe ist nie ein individualistisches Geschehen. Sie inkorporiert den Gläubigen in den Leib Christi, die Kirche: „Denn wir alle wurden in einem Geist zu einem Leib getauft“ (1 Kor 12,13). Der heilige Cyprian von Karthago (um 200-258) formulierte das ekklesiologische Prinzip: „Niemand kann Gott zum Vater haben, der nicht die Kirche zur Mutter hat.“
In den altkirchlichen Taufliturgien wird dieser gemeinschaftliche Aspekt deutlich: Die Taufe findet in Anwesenheit der Gemeinde statt, die den Neugetauften als neues Glied empfängt. Der heilige Basilius der Große (330-379) beschreibt die Kirche als „neue Arche“, in die man durch die Taufe eintritt – gerettet aus den Fluten des Verderbens.
Die patristische Tradition betont, dass der Getaufte nicht nur in die sichtbare Kirchengemeinschaft, sondern auch in die communio sanctorum – die Gemeinschaft aller Heiligen – eingegliedert wird. Der heilige Johannes von Damaskus (um 650-754) schreibt: „In der Taufe wird der Mensch nicht nur mit den Lebenden, sondern auch mit den Verstorbenen verbunden – mit allen, die im Glauben vorausgegangen sind.“
Diese ekklesiologische Dimension der Taufe ist besonders in der Fastenzeit relevant, die ursprünglich als Zeit der Vorbereitung der Taufbewerber (Katechumenen) auf ihre Ostertaufe konzipiert war. Die ganze Gemeinde fastet und betet mit den Katechumenen, als Zeichen der Solidarität und in Erinnerung an ihre eigene Taufe.
Das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit
Die Taufe hat nicht nur eine retrospektive Dimension (Teilhabe am vergangenen Heilsereignis), sondern auch eine prospektive: Sie ist arrabon – Angeld oder Unterpfand der zukünftigen Vollendung. Der Apostel Paulus verwendet diesen Begriff im Kontext der Gabe des Heiligen Geistes: „Er hat uns auch versiegelt und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben“ (2 Kor 1,22).
Der heilige Gregor von Nyssa (ca. 335-394) entwickelt in seiner Abhandlung „Über die Taufe Christi“ eine Theologie der Antizipation: „Was in der Taufe geschieht, ist eine vorweggenommene Teilhabe an der zukünftigen Auferstehung.“ Der Getaufte lebt in einer Spannung zwischen dem „Schon“ der empfangenen Gnade und dem „Noch nicht“ ihrer vollen Manifestation.
Diese eschatologische Perspektive verleiht dem christlichen Leben seine dynamische Qualität. Die Taufe ist nicht ein abgeschlossenes Ereignis, sondern der Beginn eines Prozesses, den die griechischen Väter als theosis (Vergöttlichung) bezeichnen – ein progressives Hineinwachsen in die göttliche Wirklichkeit, die in der Taufe keimhaft empfangen wurde.
Maximus der Bekenner (580-662) beschreibt diesen Prozess als synergetisch – als Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit: „In der Taufe empfangen wir den Samen des neuen Lebens, aber wir müssen ihn durch Gebet, Askese und Liebe zur vollen Blüte bringen.“
Identität und Transformation
Die Taufe wirft fundamentale anthropologische Fragen auf: Wie kann der Mensch derselbe bleiben und doch radikal verändert werden? Wie verhält sich die natürliche zur übernatürlichen Identität?
Der Existenzphilosoph Gabriel Marcel (1889-1973) unterscheidet zwischen „Problem“ und „Mysterium“: Ein Problem steht außerhalb des Fragenden und kann objektiviert werden; ein Mysterium hingegen involviert den Fragenden selbst und transzendiert die Subjekt-Objekt-Spaltung. Die Taufe ist in diesem Sinne kein „Problem“, das theologisch „gelöst“ werden könnte, sondern ein „Mysterium“, in das der Gläubige existenziell hineingenommen wird.
Der russische Religionsphilosoph Nikolai Berdjajew (1874-1948) spricht von der „Personalisierung“ als Ziel des geistlichen Lebens: Der Mensch wird nicht weniger, sondern mehr er selbst, indem er in Christus hineinwächst. Diese Paradoxie findet ihren sakramentalen Ausdruck in der Taufe, die den Menschen nicht entfremdet, sondern zu seiner tiefsten Identität führt.
Die Fastenzeit bietet Raum, diese existenzielle Transformation zu reflektieren. Sie ist eine „Reise zur Taufe“ – sei es als Vorbereitung auf den Empfang des Sakraments oder als Wiederentdeckung seiner transformierenden Kraft.
Praktische Übungen zur Vertiefung des Taufbewusstseins
Tägliche Erneuerung des Taufgelübdes: Beginne jeden Morgen mit einem bewussten Kreuzzeichen bei der Morgen-Routine und sprich dabei: „Ich danke dir, Vater, dass du mich durch die Taufe zu deinem Kind gemacht hast. Hilf mir, heute in der Würde meiner Taufe zu leben.“
Kontemplative Lektüre: Meditiere über Bibelstellen, die von der Taufe handeln (Joh 3,1-21; Röm 6,1-11; Tit 3,4-7; 1 Petr 3,18-22), und lass sie in deinem Herzen wirken. Khokum (Die lectio divina) – das vierstufige Lesen (Lesen, Meditieren, Beten, Kontemplieren) – ist dafür besonders geeignet.
Fasten als Befreiung: Verbinde dein Fasten mit dem Gedanken der Tauferneuerung. Der Verzicht auf bestimmte Speisen und Genüsse kann als konkrete Übung verstanden werden, um das „Ablegen des alten Menschen“ (Eph 4,22) zu praktizieren.
Sozial-diakonisches Engagement: Die Taufe verpflichtet zur aktiven Nächstenliebe. Nutze die Fastenzeit, um konkrete Werke der Barmherzigkeit zu praktizieren – sei es in Form von Almosen, Zeitspenden für Bedürftige oder bewusster Anteilnahme am Leiden anderer.
Gebet zur Erneuerung der Taufgnade
Dreieiniger Gott,
Vater, Sohn und Heiliger Geist,
Du hast mich im Wasser der Taufe
von der Knechtschaft der Sünde befreit
und in die Freiheit der Kinder Gottes geführt.
Vater, der du mich als dein Kind angenommen hast,
erneuere in mir das Bewusstsein meiner göttlichen Kindschaft.
Lass mich in kindlichem Vertrauen zu dir aufschauen
und in allem deinen Willen suchen.
Sohn Gottes, der du mich durch deinen Tod und deine Auferstehung erlöst hast,
lass mich täglich mit dir sterben und auferstehen.
Forme mich nach deinem Bild,
dass ich deine Liebe widerspiegeln kann.
Heiliger Geist, der du in der Taufe auf mich herabgekommen bist,
entzünde neu das Feuer deiner Gegenwart in mir.
Leite mich auf dem Weg der Wahrheit
und stärke mich zum Zeugnis in der Welt.
Heilige Dreifaltigkeit,
ich erneuere das Gelöbnis meiner Taufe:
Ich widersage dem Bösen und allem, was von dir trennt.
Ich glaube an dich und deine Liebe.
Ich will dir nachfolgen alle Tage meines Lebens.
Amen.
Die Taufe als Schlüssel zur österlichen Verwandlung
Am Ende der ersten Woche unserer Fastenreise erreichen wir einen entscheidenden Wendepunkt: Von der Betrachtung des Verfalls (Sündenfall) wenden wir uns der Erneuerung zu. Die Taufe ist nicht nur ein isoliertes Mysterium, sondern der Schlüssel zum Verständnis der gesamten Heilsökonomie – sie verbindet Schöpfung, Fall und Erlösung zu einer kohärenten Heilsgeschichte.
Es ist die Pforte zu allen Mysterien der Kirche – als fundamentales Ereignis, das den Menschen befähigt, am gesamten sakramentalen Leben der Kirche teilzunehmen. Die Fastenzeit, ursprünglich als unmittelbare Vorbereitung auf die Ostertaufe konzipiert, bewahrt diesen tauftheologischen Charakter, auch wenn die meisten Christen heute bereits als Säuglinge getauft werden.
Die Fastenzeit lädt uns ein, das zu aktualisieren, was in der Taufe grundgelegt wurde: das Ablegen des „alten Menschen“ und das Anziehen des „neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24). Sie ist eine Zeit der bewussten Rückkehr zur Taufgnade – eine Reise zu den Quellen unserer christlichen Identität.
In den Worten des heiligen Johannes Chrysostomus: „Die Fastenzeit ist wie ein zweites Taufbad, in dem wir die Reinheit wiedergewinnen können, die wir durch die Sünde verloren haben.“ So bereiten wir uns vor auf die österliche Freude – auf jene volle Manifestation der Taufgnade, die in der Osternacht gefeiert wird, wenn die Gemeinde ihre Taufkerzen entzündet und das neue Leben in Christus feiert.
Pfr. Dr. Diradur Sardaryan