Von der Schöpfung zur Auferstehung:

Theologische Wegbegleitung für die Fastenzeit

Die Große Fastenzeit ist mehr als eine Zeit des Verzichts – sie ist eine spirituelle Reise, eine Schule der Reue und Erneuerung. Seit den frühesten Zeiten der Kirche ist das Fasten nicht nur eine äußere Praxis des Verzichts, sondern ein innerer Prozess der Umkehr und der Vertiefung des Glaubens. Es ist eine Zeit, in der wir bewusst aus den Ablenkungen des Alltags heraustreten, um unser Herz neu auf Gott auszurichten.

In der Armenischen Apostolischen Kirche hat die Große Fastenzeit eine zentrale liturgische und theologische Bedeutung. Sie beginnt mit dem Montag nach Bun Barekendan und führt die Gläubigen über einen 40-tägigen Weg der geistlichen Reinigung bis zur Karwoche und schließlich zur Feier der Auferstehung Christi. Während dieser Zeit werden wir eingeladen, nicht nur auf bestimmte Speisen zu verzichten, sondern vor allem unser inneres Leben neu zu ordnen – durch Gebet, Barmherzigkeit, Vergebung und eine tiefere Hinwendung zu Gott.

Diese Katechese-Reihe verbindet die Weisheit der alten Kirche mit den Fragen der heutigen Zeit. Sie basiert auf den Katechesen des Heiligen Kyrill von Jerusalem, ergänzt durch die Schriften der armenischen Kirchenväter. Gleichzeitig wird sie durch moderne pädagogische und philosophische Impulse bereichert, um eine Brücke zwischen Tradition und Gegenwart zu schlagen.

Drei Impulse pro Woche:
Eine kontinuierliche Begleitung

Jede Woche dieser Reihe umfasst drei thematische Impulse, die am Montag, Dienstag und Donnerstag erscheinen. Sie leiten die Gläubigen durch die zentrale Botschaft der jeweiligen Fastenwoche und ermöglichen eine schrittweise Vertiefung:

  • Montag: Theologischer Schwerpunkt – Einführung in das Wochenthema mit einer biblischen Grundlage.
  • Dienstag: Spirituelle Vertiefung – Reflexion über den persönlichen Glaubensweg anhand der Kirchenväter.
  • Donnerstag: Praktische Umsetzung – Konkrete Schritte zur Integration des Themas ins tägliche Leben.

Diese Struktur ermöglicht eine kontinuierliche geistliche Begleitung während der gesamten Fastenzeit und fördert eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Glauben.

Die Fastenzeit als geistlicher Weg

Die östliche christliche Tradition sieht die Fastenzeit als eine Art spirituelle Pilgerreise. Der Weg beginnt mit der Erkenntnis unserer Schwäche, führt durch die Auseinandersetzung mit der Sünde und mündet schließlich in die Freude der Auferstehung. So wie das Volk Israel aus der Gefangenschaft Ägyptens in das Gelobte Land zog, sind auch wir eingeladen, aus unseren inneren Bindungen auszubrechen und uns neu auf das Licht Christi auszurichten.

Jede Woche dieser Reihe ist einer bestimmten Etappe dieser geistlichen Reise gewidmet. Die Themen folgen der Heilsordnung, die sich in der Bibel und in der liturgischen Tradition der Armenischen Kirche widerspiegelt. Wir beginnen mit der Schöpfung und dem Sündenfall, gehen durch die prophetische Mahnung zur Umkehr, betrachten die Menschwerdung Christi und sein Erlösungswerk am Kreuz und gelangen schließlich zur österlichen Freude.

Didaktischer Ansatz: Theologie für heute

Diese Reihe ist nicht nur eine theologische Abhandlung, sondern eine praktische Anleitung für das persönliche geistliche Leben. Jeder Beitrag enthält:

  • Biblische Lesungen: Texte, die in der Armenischen Kirche während der Fastenzeit gelesen werden.
  • Theologische Reflexion: Einsichten aus den Schriften der Kirchenväter, insbesondere Kyrill von Jerusalem, Gregor von Narek und Nerses Shnorhali.
  • Philosophische Perspektiven: Moderne Denker und Philosophen helfen uns, die Relevanz des Glaubens für unsere Zeit zu verstehen.
  • Praktische Übungen: Fasten ist nicht nur Verzicht, sondern auch eine Gelegenheit zur konkreten Veränderung. Jede Woche enthält Impulse, um das Gehörte in den Alltag zu integrieren.

Die Struktur der Fastenzeit-Katechese

Die Reihe folgt einem klaren thematischen Aufbau:

  1. Woche 1: Der Beginn der Reise – Schöpfung, Sündenfall und erste Umkehr
  2. Woche 2: Die Stimme der Propheten – Umkehr, Glaube und Barmherzigkeit
    • Montag: Gottes Bund und Verheißung (Genesis 12)
    • Dienstag: Umkehr und Barmherzigkeit (Lukas 15, Sprüche)
    • Donnerstag: Fasten als Gerechtigkeit (Jesaja 58)
  3. Woche 3: Christi Menschwerdung, Gnade und die Gemeinschaft der Gläubigen
    • Montag: Die Taufe Jesu (Matthäus 3)
    • Dienstag: Die Versuchung Christi in der Wüste (Matthäus 4)
    • Donnerstag: Die Seligpreisungen und der Weg zur Heiligkeit (Matthäus 5)
  4. Woche 4: Das Geheimnis des Kreuzes – Hingabe, Vergebung und Heilung
    • Montag: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15)
    • Dienstag: Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10)
    • Donnerstag: Christus als leidender Gottesknecht (Jesaja 53)
  5. Woche 5: Der Weg zur Passion – Die Nachfolge Christi leben
    • Montag: Die Heilung des blinden Bartimäus (Markus 10)
    • Dienstag: Die Fußwaschung als Zeichen der Demut (Johannes 13)
    • Donnerstag: Die sieben letzten Worte Christi am Kreuz (Lukas 23)
  6. Woche 6: Das Licht der Auferstehung – Hoffnung, Gnade und neues Leben
    • Montag: Einzug in Jerusalem (Johannes 12)
    • Dienstag: Die Salbung in Bethanien (Matthäus 26)
    • Donnerstag: Die Kreuzigung und die Verheißung des Paradieses (Lukas 23)

Eine Einladung zur Verwandlung

Die zentrale Frage der Fastenzeit ist nicht: „Auf was verzichte ich?“, sondern: „Wie lasse ich mich verwandeln?“ Die Spiritualität der Armenischen Kirche lädt uns ein, die Fastenzeit als eine Zeit der Begegnung mit Christus zu verstehen. Indem wir innehalten, beten, das Wort Gottes hören und Werke der Liebe tun, lassen wir uns von Christus verwandeln.

Diese Fastenzeit ist eine Gelegenheit, den Glauben neu zu entdecken – nicht als Last, sondern als Quelle des Lebens. Es ist eine Einladung, sich auf eine Reise zu begeben, die nicht nur 40 Tage dauert, sondern unser ganzes Leben prägt.

Euer Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan
Gemeindepfarrer