Zwischen Umkehr und Erlösung.
Die Armenische Fastenzeit:
Eine liturgische und theologische Betrachtung
Von Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Die Große Fastenzeit ist die bedeutendste und längste Fastenperiode im Kirchenjahr der Armenischen Apostolischen Kirche (Gleichlang ist die Fastenperiode vor Weihnachten, die aber in der Gegenwart zwar in den kirchlichen Kalendern als Fastenzeit steht, aber vorwiegend von den Geistlichen gehalten wird). Sie bereitet die Gläubigen auf das größte Fest der Christenheit vor – die Auferstehung Christi. Doch Fasten bedeutet mehr als bloßen Verzicht. Es ist eine Zeit der inneren Umkehr, der geistlichen Läuterung und der bewussten Auseinandersetzung mit dem Glauben. Die Armenische Kirche bewahrt dabei eine eigene liturgische Struktur, die sich in ihrer Leseordnung und den theologischen Schwerpunkten von den Traditionen der orthodoxen und katholischen Kirchen unterscheidet.
Während die Orthodoxie eine ausgeprägte Vorbereitungsphase vor der eigentlichen Fastenzeit kennt und die katholische Kirche mit der Aschermittwochsliturgie einen markanten Beginn setzt, steht in der armenischen Tradition eine strenge, aber klare Struktur im Mittelpunkt. Die 40 Tage der Großen Fastenzeit, gefolgt von der Fastenwoche der Passion, sind durch eine kontinuierliche Lesung aus der Heiligen Schrift geprägt. Dabei spielen bestimmte Heiligenfeste wie das Fest des Heiligen Theodor Tiro, des Heiligen Gregor des Erleuchters und andere eine besondere Rolle.
Dieser Beitrag untersucht die Leseordnung der Armenischen Kirche während der Großen Fastenzeit, ihre theologischen Motive und liturgischen Besonderheiten. Im Vergleich zur orthodoxen und katholischen Praxis werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet, um ein Verständnis für die Fastentradition der Armenischen Kirche zu ermöglichen. Was bedeuten die einzelnen Lesungen? Welche theologischen Themen stehen im Mittelpunkt? Und wie unterscheiden sich die Schwerpunkte der Fastenzeit in den verschiedenen Traditionen?
Durch eine Analyse der liturgischen Lesungen, der Heiligenfeste und der geschichtlichen Entwicklung soll dieser Beitrag ein umfassendes Bild der Großen Fastenzeit in der Armenischen Kirche zeichnen – einer Zeit zwischen Umkehr und Erlösung.
1. Historische Entwicklung
der armenischen Fastenzeit und ihrer Leseordnung
Ursprung und Dauer der Fastenzeit
Die Entstehung der österlichen Fastenzeit reicht bis in die frühesten Jahrhunderte zurück. Ursprünglich variierte die Zahl der Fastentage regional stark – obwohl der Name „Karasnorek“ („vierzig Tage“) im Armenischen und anderen Sprachen auf 40 Tage verweist. In der armenischen Kirche beginnt die Fastenzeit traditionell am siebten Montag vor Ostern (dem Tag nach Bun Barekendan, dem „großen Barekendan“- Sonntag vor Fastenbeginn) und dauert exakt 40 Tage bis zum Freitag vor Palmsonntag. Diese 40 Tage entsprechen dem Vorbild Jesu in der Wüste (Mt 4,1-2) und dienten von Anfang an der geistlichen Vorbereitung auf Ostern. Bemerkenswert ist, dass in der alten Praxis Samstage und Sonntage nicht als strenge Fasttage galten – Sonntag als Tag des Herrn war vom Fasten ausgenommen, und samstags gedachte man der Heiligen. Entsprechend zählen die 40 Tage im Armenischen nur die Wochentage (Montag – Freitag) jeder der sechs Wochen plus vier zusätzliche Tage in der letzten Woche. Im Lauf der Zeit weitete sich jedoch die Volksfrömmigkeit aus und viele Armenier fasteten schließlich auch an den Wochenenden, trotz der ursprünglichen Dispens.
Jerusalemer Wurzeln der Leseordnung
Die armenische Leseordnung der Fastenzeit wurde stark von der Jerusalemer Urkirche geprägt. Tatsächlich hat das armenische Lektionar („Tschaschots Gierk“) seine Wurzeln in Jerusalem und spiegelt sehr alte Gebräuche wider. Um 400 n. Chr. entwickelten die Christen Jerusalems ein System mehrschichtiger Schriftlesungen für die Fastenzeit, das die Armenier nahezu unverändert übernommen haben. Dazu gehören vor allem zwei Säulen: (a) Fortlaufende alttestamentliche Lesungen an Fastentagen Mittwoch und Freitag, und (b) ein Satz thematischer Lesungen an den übrigen Wochentagen zur Unterweisung der Taufbewerber (der Menschen die sich zur Taufe vorbereiteten).
– Mittwochs und freitags wurde in Jerusalem abends aus der Heiligen Schrift fortlaufend gelesen. So erstreckten sich etwa die ersten Kapitel des Exodusbuches und fast das gesamte Buch Joel als Lesungen über die Mittwoche der Fastenzeit; an den Freitagen las man fortlaufend Kapitel aus Deuteronomium und Ijob. Diese Abfolge – Auszug aus Ägypten, Prophetie und Leidensgeschichte – betont Umkehr und Gottes Heilshandeln und wurde von der armenischen Kirche eins-zu-eins übernommen.
– Montags, dienstags und donnerstags hingegen begegnet eine scheinbar „bunte Mischung“ einzelner Bibeltexte aus Alten und Neuen Testamenten. Es handelt sich um 19 ausgewählte Perikopen (eine Prokatechese plus 18 vortauflichen Katechesen), die in Jerusalem den Lehrplan für Taufanwärter (Katechumenen) bildeten. Jede dieser Schriftlesungen diente als Grundlage einer Unterrichtseinheit über den christlichen Glauben. Die ersten Texte betonen Bekehrung und Taufe, die späteren vermitteln die Grundlagen des Glaubens (Schöpfung, Christus, Heiliger Geist etc.) entsprechend den Artikeln des Nicaenum (Glaubensbekenntnis von Nicäa). Diese „Katechumenen-Lesungen“ gehen auf den Jerusalemer Bischof St. Kyrill von Jerusalem († 18. März 386) zurück, der 18 berühmte Taufkatechesen verfasste und dabei diese Bibelstellen behandelte. Interessanterweise wurden Kyrills Katechesen und die dazugehörigen Lesungen bereits im 5. Jh. von Mesrop Maschtoz ins Armenische übersetzt. Bis heute bewahrt die armenische Kirche diese alte Lesereihe – sie wird an den genannten Wochentagen (außer in der zweiten Woche) gelesen und verknüpft die Fastenzeit mit Taufvorbereitung und Glaubensunterweisung der Alten Kirche.
Weiterentwicklungen
Die armenische Fastentradition blieb lebendig und erfuhr Anpassungen: Historisch begann die Fastenzeit mancherorts erst sechs Wochen vor Ostern. Darauf weist hin, dass in der heutigen armenischen Leseordnung die Lesungen der zweiten Fastenwoche einen eigenen Zyklus (mit Abschnitten aus 1. Samuel, Sprüche und Jeremia) bilden und die oben erwähnte Katechumenen-Reihe für drei Tage unterbrechen. Forscher nehmen an, dass diese Texte ursprünglich zur ersten Woche gehörten, bevor die Fastenzeit um eine Woche nach vorne verlegt wurde. So spiegelt die jetzige Ordnung zwei Schichten: einen älteren Kern (Lesungen einer einzigen Woche) und die später integrierte erweiterte Fastenzeit.
Auch die Sonntagslesungen der armenischen Fastenzeit haben im Mittelalter Wandlungen erfahren. In frühester Zeit standen Taufvorbereitung und Buße im Vordergrund; Heiligenfeste wurden während strenger Fastenzeit vermieden. Später, in der Kilikenischen Epoche (Hochmittelalter), kam die armenische Kirche intensiver in Kontakt mit der byzantinischen Liturgie, was die Übernahme mancher Sonntagsevangelien zur Folge hatte. So entsprechen die Evangelien der sechs Fastensonntage weitgehend dem byzantinischen Ritus, wurden jedoch in der armenischen Spiritualität neu gedeutet. Zudem führte die armenische Kirche eigenständig an den Fastensamstagen Heiligen-Gedenktage ein (in Jerusalem gab es ursprünglich keine Lesungen an Fastensamstagen). Diese Integration der Heiligen in den Fastenkalender – z.B. des armenischen Kirchenvaters Heiligen Grigor – ist eine armenische Besonderheit der Leseordnung. Auch die 19 Perikopen (1+18) der Jerusalemer Tradition sind nicht wörtlich identisch mit den heutigen armenischen Lesungen, sondern repräsentieren eine Tradition, die Hl. Kyrill geprägt hat und die später durch die armenischen Kirchenväter angepasst wurde.
2. Vergleich mit orthodoxer und katholischer Tradition
Obwohl alle großen christlichen Traditionen die österliche Quadragesima (40-Tage-Fastenzeit) kennen, zeigen sich in Struktur und theologischer Akzentsetzung deutliche Unterschiede zwischen der armenischen Kirche und der römisch-katholischen sowie ostkirchlich-orthodoxen Praxis.
Zeitrahmen und Zählung
Die Armenische und die Byzantinisch-Orthodoxe Kirche beginnen die Fastenzeit am „Reinen Montag“ (nach dem Sonntag vor Fastenbeginn) und enden sie vor der Karwoche. In beiden Traditionen gilt der eigentliche 40-tägige Fastenzeitraum am Freitag vor Palmsonntag als abgeschlossen; das Wochenende mit Lazarus-Samstag und Palmsonntag sowie die Karwoche bilden eigene Abschnitte. Die Lateinische Kirche hingegen beginnt die Fastenzeit am Aschermittwoch, vier Tage vor dem ersten Fastensonntag. Diesem Beginn liegt eine andere Zählweise zugrunde: Da in westlicher Tradition die Sonntage nicht als Fasttage gezählt wurden, fügte man vier zusätzliche Tage hinzu, um dennoch auf 40 Fastentage zu kommen. Außerdem zieht die römische Kirche die Fastenzeit bis zum Gründonnerstag bzw. Karsamstag (je nach Zählweise) und inklusive der Karwoche, was im armenischen und byzantinischen Verständnis bereits ein eigener Zyklus ist.
Sonntage und liturgische Eigenarten
An den Fastensonntagen selbst setzen alle Kirchen je eigene Akzente.
Die armenische Kirche begeht die Sonntage der Fastenzeit unter besonderen Namen (siehe Abschnitt 5), welche Stationen der Heilsgeschichte und der menschlichen Reue markieren – z.B. „Sonntag der Austreibung (Expulsion)“ zur Erinnerung an Adams Vertreibung aus Eden, „Sonntag des Verlorenen Sohnes“, „Sonntag des ungerechten Verwalters“, usw.
Die Orthodoxe Kirche hingegen widmet die Fastensonntage anderen Themen: Der 1. Sonntag ist der „Triumph der Orthodoxie“ (Gedächtnis der Wiederzulassung der Ikonenverehrung), es folgen etwa der Gregor-Palamas-Sonntag, der Kreuzverehrungs-Sonntag (3. Fastensonntag), der Johannes-Klimakus-Sonntag und der Maria-Ägyptiaca-Sonntag (5. Fastensonntag). Diese Themen ehren Heilige und Glaubenswahrheiten, die den Gläubigen als Vorbilder der Askese und Buße dienen.
In der katholischen Kirche tragen die Fastensonntage keine speziellen Namen (abgesehen vom Laetare-Sonntag als Freudensonntag in der Mitte der Fastenzeit), doch die liturgischen Texte folgen einem eigenen Schema: Am 1. Fastensonntag steht stets die Versuchung Jesu in der Wüste im Evangelium, um den Auftakt der Bußzeit zu markieren, und am 2. Sonntag traditionell die Verklärung Christi, um den Gläubigen Hoffnung zu geben. Solche Lesungsabfolgen unterscheiden sich deutlich vom armenischen Ritus, wo andere Schriftstellen im Mittelpunkt stehen.
Dennoch gibt es Parallelen: Alle Traditionen beginnen die Fastenzeit mit einem Aufruf zur Umkehr – sei es der armenische Brauch, am Bun Barekendan die Altarkanzel zu schließen (als Symbol dafür, dass der Mensch wie Adam des Paradieses verwiesen ist und nun Buße tun muss), oder das römische Aschekreuz am Aschermittwoch als Zeichen der Buße.
Wochentagslesungen
In der katholischen Kirche werden an Wochentagen der Fastenzeit ebenfalls ausgewählte Bibelstellen gelesen, jedoch folgt das römische Lektionar einem anderen Prinzip (kontinuierliche Evangelienlesung nach Markusevangelium und thematische alttestamentliche Texte, teils bezugnehmend auf Taufkatechese an den Sonntagen). Eine zusammenhängende Lesung ganzer biblischer Bücher wie in der armenischen oder byzantinischen Tradition ist in der römischen Fastenliturgie weniger stark ausgeprägt. Die orthodoxen Kirchen haben wiederum eigene Schriftlesungen: An den Werktagen der Großen Fastenzeit werden gewöhnlich Genesis, Jesaja und Sprüche fortlaufend gelesen (meist im Rahmen des Stundengebets oder der vorgeweihten Liturgie). Dieser Unterschied ist bemerkenswert: Während Armenier am Mittwoch Exodus lesen, lesen Byzantiner in derselben Zeit Genesis; Armenier lesen freitags Deuteronomium und Hiob, während Byzantiner Jesaja und Sprüche im Wechsel lesen. Beide ostkirchlichen Traditionen betonen aber damit das Alte Testament als Wegweisung zur Umkehr (etwa durch die Lesung von Gesetz und Propheten).
Theologische Schwerpunkte
Der Grundtenor der Fastenzeit ist in allen Traditionen ähnlich – Umkehr, Gebet, Verzicht und Vorbereitung auf das Osterfest. Doch setzt jede Kirche eigene Akzente: In der armenischen Kirche steht – wie noch genauer gezeigt wird – die persönliche Umkehr und Glaubenserneuerung im Zentrum, stark verknüpft mit dem Taufgedanken. Die Lesungen dienen der „geistlichen Unterweisung“ und führen durch die Heilsgeschichte, was der Fastenzeit einen quasi katechetischen Charakter gibt. In der Orthodoxie liegt ein Hauptakzent auf der Askese und der Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit im Gläubigen: Die Verehrung des Kreuzes zur Fastenmitte und das Gedenken großer Bußheiligen (wie Maria von Ägypten) sollen zur Nachahmung christlicher Tugenden anspornen. In der katholischen Tradition steht die Bußgesinnung und die Solidarität mit den Leidenden im Vordergrund (Almosen, Fasten, Gebet). Durch liturgische Elemente wie Ascheauflegung, Kreuzweg und Bußgottesdienste wird die radikale Umkehr des Herzens betont. Zudem rückt heute die Vorbereitung von Taufbewerbern (Katechumenen) auf die Osternacht in den Fokus (mit eigenen Ritualen an den Fastensonntagen, den sogenannten „Skrutinien“). Diese Wiederentdeckung der Taufvorbereitung erinnert an einen Aspekt, der in der armenischen Kirche seit jeher im Leseplan der Fastenzeit bewahrt wurde. Dennoch wird er in der heutigen Praxis der armenischen Kirche – insbesondere im Hinblick auf die Vorbereitung der Katechumenen – weitgehend vernachlässigt. Dies liegt vermutlich daran, dass mit der Praxis der Kindertaufe das Katechumenat als eigenständiger Prozess nicht mehr aktiv gelebt wird. Gerade in unserer Zeit wäre es jedoch von großer Bedeutung, diesen kostbaren Schatz der Unterweisung neu zu entdecken und zu revitalisieren, wie unsere katholischen Geschwister es tun.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die armenische Fasten-Leseordnung eine einzigartige Verbindung von biblischer Heilsgeschichte, Glaubenslehre und Bußspiritualität darstellt. Während orthodoxe und katholische Christen vieles davon nachvollziehen können – etwa die Zahl der 40 Tage, den Ruf zur Umkehr und die Nachahmung von Christi Fasten –, zeigt der Vergleich doch markante Unterschiede in der Schwerpunktsetzung (z.B. andere Sonntagsthemen, differierende Bibeltexte) und in gewissen Bräuchen (etwa kein Aschermittwoch in der armenischen Kirche, dafür das symbolische Schließen des Vorhangs). Gemeinsam ist allen Traditionen jedoch das Ziel, die Gläubigen durch Fasten, Gebet und Gottes Wort innerlich zu erneuern, damit sie Ostern mit reinem Herzen begehen können.

3. Liturgische und theologische Themen
der armenischen Fastenzeit
Die Armenische Kirche versteht die Große Fastenzeit primär als eine „Schule der Reue (Umkehr)“. Dabei bedeutet Reue (armenisch abashkharhut‘iwn) weit mehr als das Aufzählen von Sünden vor einem Priester: Es geht um eine tiefgreifende innere Umkehr, eine „radikale Neubewertung unseres gesamten Lebens“, wie es in einer armenischen Fastenbetrachtung heißt. Der Gläubige ist eingeladen, sein Denken, seine Wertmaßstäbe und Beziehungen im Licht des Evangeliums zu überprüfen. Die Kirche betont, dass echte Reue eine längere Vorbereitung und Läuterung erfordert – ein Prozess, der sich idealerweise über die 40 Tage der Fastenzeit erstreckt. Gebet, Fasten und tätige Liebe sind dabei die klassischen Mittel, doch wird besonders die Verkündigung der Heiligen Schrift als Wegweiser eingesetzt, um den „Geist der Reue“ im Gläubigen zu wecken. Jede biblische Lesung der Fastenzeit soll zur Selbsterkenntnis, Gotteserkenntung und Umkehr anleiten.
Themen der Schriftlesungen
Die Auswahl der Lesungen spiegelt zentrale Heilsthemen wider. Bereits die Sonntags-Evangelien führen durch wichtige Stationen: Am Beginn der Fastenzeit steht der Verlust der Gemeinschaft mit Gott durch die Sünde (Symbol der Austreibung aus dem Paradies, thematisiert am „Expulsion“-Sonntag) und am Ende die Erwartung der Wiederkunft Christi („Wiederkunft“-Sonntag, auch wenn es im westlichen Kontext überraschend klingt). Dazwischen rufen Gleichnisse wie der Verlorene Sohn Gottes Barmherzigkeit ins Gedächtnis (Gott nimmt den reumütigen Sünder wieder auf), oder das Gleichnis vom ungerechten Verwalter mahnt zur verantwortlichen Nutzung der uns anvertrauten Gaben. Der beharrlichen Witwe und dem ungerechten Richter (Gleichnis am 5. Fastensonntag) wird gedacht, um zur ausdauernden Buße und zum unablässigen Gebet zu ermutigen.
Insgesamt führen uns die sechs Sonntage der Fastenzeit durch Schriftpassagen, die zeigen, wie die Sünde in unser Leben kam und uns von Gott trennte, uns aber zugleich an Gottes Güte, Barmherzigkeit und Liebe erinnern, die in Seinem Sohn erfüllt wurde“.
Dieser rote Faden – von der Schöpfung und dem Sündenfall (Genesis 1–3 am Expulsion-Sonntag) über die menschliche Verirrung und Umkehr (Lk 15 am Sonntag des Verlorenen Sohns) bis hin zur Erlösung und eschatologischen Hoffnung (Mt 24 am „Wiederkunft“-Sonntag) – prägt die theologische Atmosphäre der armenischen Fastenzeit.
Auch die Wochentagslesungen haben spezifische theologische Akzente: Die Exodus-Lesungen am Mittwoch erinnern an Befreiung und Bund – Gott führt sein Volk aus der Sklaverei, so wie die Seele aus der Knechtschaft der Sünde befreit werden soll. Der Prophet Joel, der ebenfalls mittwochs gelesen wird, ruft unmissverständlich zur Buße auf: „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen“ (Joel 2,12) – Worte, die den Fastenden direkt ansprechen. An den Freitagen erzählen Deuteronomium und Ijob von Treue und Bewährung: In Deuteronomium werden dem Volk die Gebote Gottes eingeschärft – ein Aufruf an die Gläubigen, in der Fastenzeit zu Gehorsam und Erneuerung des Bundes zurückzukehren. Ijobs Leidensgeschichte wiederum stellt das Thema der Geduld und Standhaftigkeit im Glauben in den Mittelpunkt, selbst in Prüfung und Not. So lernen die Gläubigen durch Ijobs Beispiel, im Fasten auch Schwierigkeiten auszuhalten und auf Gottes Erlösung zu vertrauen.
Die katechetischen Lesungen (montags, dienstags, donnerstags) decken inhaltlich ein breites Spektrum ab, das die Grundlagen des Glaubens umfasst. Aus der Kirchengeschichte wissen wir, dass darunter Texte über die Taufe (symbolisiert etwa durch biblische Erzählungen wie die der Arche Noah oder des Durchzugs durchs Rote Meer) und Texte über die Glaubensartikel (z.B. Prophetien auf Christus, Lehren über den Heiligen Geist, die Kirche usw.) sind. Durch diese Auswahl wird die Fastenzeit zu einer Zeit der Vertiefung des Glaubenswissens: Die Gemeinde hört nochmals die zentralen Schriftstellen, die einst neuen Christen vor ihrer Taufe gepredigt wurden. Damit verbindet sich die Aufforderung, das eigene Taufversprechen zu erneuern und zur ersten Liebe des Glaubens zurückzukehren.
Liturgische Besonderheiten
Die Armenische Kirche unterstreicht diese Themen zudem durch spezifische Gottesdienstformen. So bleiben während der ganzen Fastenzeit die Altartüren (Vorhänge) geschlossen, was die Verborgenheit des himmlischen Heiligtums andeutet und an die Trennung durch die Sünde erinnert. Gleichzeitig wird jeden Sonntagmorgen der feierliche Arevakal (Morgendämmerungs-) Gottesdienst gehalten, der der aufgehenden Sonne gewidmet ist. Inmitten der Dunkelheit der Fastenzeit leuchtet hier symbolisch das Licht Christi auf: Während der Arevakal-Liturgie werden Kerzen entzündet und der Hymnus „Luys (Licht)“ gesungen. Die Botschaft ist klar – Christus, das „Licht der Welt“, erhellt unser Dunkel und weist dem reuigen Sünder den Weg aus der Finsternis. Die Fastenzeit hat trotz aller Strenge somit eine freudige Dimension: Sie ist ein Erwachen des inneren Menschen, ein Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit im Herzen des Gläubigen.
Zudem werden in der Fastenzeit die Friedens-, Ruh- und Morgendienste (drei der sieben Tagzeitengebete) häufiger gefeiert als im Rest des Jahres. Diese Gebete – insbesondere das Gebet des Hl. Nerses Schnorhali („Herr, gieße den Geist deines Heils in mich…“) im Nachtgebet – verstärken den Ton der Buße und Demut. Die geistliche Atmosphäre der armenischen Fastenliturgie ist somit geprägt von stiller Reflexion, tiefgehenden Bußgebeten und umfangreicher Schriftlesung. All dies soll die Gläubigen in den Zustand der metanoia (Umkehr des Herzens) führen. Die Theologie betont, dass ohne diese innere Erneuerung selbst die sakramentale Lossprechung leer bliebe – daher sei die Fastenzeit unverzichtbar für ein wirklich christliches Leben.
4. Heiligenfeste während der Fastenzeit
und ihre Bedeutung für die Leseordnung
Während der Fastenzeit begeht die armenische Kirche besondere Heiligen- und Festgedenken, die teils eigenständig sind. Generell gilt: Mittwochs und freitags – den strengsten Fasttagen – werden keine Heiligen gefeiert, da nach armenischer Auffassung die glanzvolle Feier eines Heiligen nicht zum Geist der Buße passt. Stattdessen konzentrieren sich alle Heiligenfeste auf die Samstage der Fastenzeit, die traditionell ohnehin den Märtyrern gewidmet sind.
Jeder Fastensamstag hat einen eigenen Gedenkanlass, und die Lesungen dieses Tages werden an das jeweilige Fest angepasst. Diese Gedenktage bereichern die Fastenzeit theologisch, indem sie Vorbildgestalten des Glaubens in den Blick rücken – als Ermutigung für die Fastenden, den Weg der Heiligkeit nachzustreben. Eine Auswahl wichtiger Feste während Medz Bahk:
- Erster Samstag der Fastenzeit: Gedenken an St. Theodoros den Krieger (Theodor von Tyro). Theodor war ein frühchristlicher Märtyrer und Soldat; sein Gedenken in der ersten Fastenwoche – zusammen mit passenden Lesungen aus der Weisheitsliteratur oder Märtyrerberichten – soll die Gläubigen zu Tapferkeit im geistlichen Kampf ermutigen. (In der byzantinischen Kirche wird an diesem Tag ebenfalls der „Hl. Theodor Tyro“ gedacht; die armenische Tradition übernimmt hier einen ähnlichen Akzent.)
- Zweiter Fastensamstag: Gedenken an St. Kyrill von Jerusalem (und Gefährten wie Hl. Kyrill von Alexandrien und Hl. Athanasius in manchen Kalendern). Dass Kyrill von Jerusalem in der Fastenzeit geehrt wird, ist kein Zufall – er war derjenige, der die oben erwähnten Fasten-Katechesen verfasste. Sein Gedenktag während der Fastenzeit erinnert an die lehrhafte Dimension der österlichen Vorbereitungszeit. Die Lesungen könnten hier z.B. aus seinen Schriften oder dem Hebräerbrief (Thema Glaube) stammen. In gewisser Massen kann man hier Parallelen zu den Byzantinern ziehen und sagen, dass mit diesem Fest die Armenier die Unterstreichung des Sieges des orthodoxen (im Sinne des Rechtgläubigen) Glaubens feiern.
- Dritter Fastensamstag: Hier feiert die armenische Kirche meist mehrere Heilige zusammen, oftmals Nationalheilige. Ein Beispiel (Kalenderdatum abhängig) ist die Erinnerung an die heiligen Bischöfe Johannes von Jerusalem, Johannes von Odsun und Johannes von Orient sowie an den hl. Gregor von Datev. Diese armenischen Kirchenväter und Bekenner werden während der Fastenzeit geehrt, um auf die Kontinuität des wahren Glaubens hinzuweisen. Die Lesungen dieses Tages können Briefe oder Evangelien sein, die die Treue zur apostolischen Lehre betonen.
- Vierter Fastensamstag: Gedenken der 40 Märtyrer von Sebaste. Dieses Fest, das am 4. Samstag begangen wird, hat einen starken Bezug zur Fastenzeit: 40 junge christliche Soldaten erlitten im 4. Jh. das Martyrium, weil sie standhaft im Glauben blieben – eine offensichtliche Parallele zu den 40 Fastentagen. Ihre Zahl 40 wird als Symbol gesehen, dass auch die Gemeinde durch die „Prüfung“ der 40-tägigen Fastenzeit gehen soll, um geläutert hervorzugehen. An diesem Gedenktag werden passend die biblischen Lesungen gewählt, z.B. aus der Weisheit (Weish 3,1-8: „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand…“) und ein Evangelium über die Standhaftigkeit (Mt 10, z.B. „Wer standhaft bekennt, den bekenne ich vor dem Vater“). Die 40 Märtyrer verbinden so Fasten und Martyrium als Zeugnis für Christus.
- Fünfter Fastensamstag: Hl. Gregor der Erleuchter (Gregor Lusavoritsch) – „Einsetzung in die Grube“. Hier gedenkt die armenische Kirche ihres Nationalheiligen Gregor des Erleuchters (Surb Grigor Lusavoritsch) in besonderer Weise: Sein Leiden, 13 Jahre eingesperrt in einer Grube, weil er den Glauben nicht verleugnete, wird erinnert. Dieses Ereignis – oft „Gregor in der Grube“ genannt – wird mitten in der Fastenzeit gefeiert, um die Gläubigen an Durchhaltevermögen in der Buße und an die schließlich triumphierende Erlösung zu erinnern. Denn der Legende nach wurde Gregor aus der Grube befreit, um das armenische Volk zum Christentum zu führen. Die Lesungen an diesem Tag beinhalten meist Ermutigungen zur Geduld (etwa Jakobusbrief 1,2-4: „Die Prüfung eures Glaubens wirkt Standhaftigkeit“) und die Verkündigung des Evangeliums trotz Widerstands. Dieses Fest hat für Armenier hohe emotionale Bedeutung und verankert ihre nationale Identität im Glauben mitten in der Fastenzeit.
- 40. Tag der Fastenzeit: Das Fasten schließt am Freitag vor Palmsonntag, oft aber nicht immer, mit einem marianischen Hochfest: dem Fest der Verkündigung an die Heilige Jungfrau Maria. Die Verkündigung wird immer am 7. April gefeiert (9 Monate vor Weihnachten), da die Armenische Kirche Weihnachten am 6. Januar begeht. So fällt das Fest Annunciation nach dem armenischen Kalender oft in die Fastenzeit. An diesem Tag tritt das Bußelement etwas zurück: Inmitten der Fastenzeit erklingt das freudige Evangelium von der Verkündigung des Herrn (Lk 1,26-38) mit dem Engelwort „Freue dich, du Gnadenvolle…“. Dennoch bleibt es ein Fasttag (es wird also liturgisch gefeiert, aber ohne den strengen Fastenverzicht zu mildern). Theologisch bringt dies zum Ausdruck, dass gerade Mariä Demut und Hingabe („Mir geschehe nach deinem Wort“) als Vorbild für die Fastenden dient.
- Lazarus-Samstag (Palm-Samstag): Unmittelbar nach dem 40-tägigen Fastenzyklus begeht die Kirche den Samstag der Auferweckung des Lazarus. Dieser Tag gehört zwar formal nicht mehr zur 40-Tage-Fastenzeit, ist aber ohne festliches Fleischessen ebenfalls ein Fasttag. Die Lesungen – vor allem das ausführliche Evangelium Joh 11 von der Erweckung des Lazarus – verkünden Auferstehungshoffnung und dienen als Vorzeichen der Osterfreude mitten in der anbrechenden Karwoche. Lazarus-Samstag bildet somit die Brücke zwischen Fastenzeit und Palmsonntag/Ostern: Er zeigt, dass das Ziel der Fastenreise die Überwindung des Todes ist. In der armenischen Tradition wird Lazarus-Samstag feierlich begangen (teils mit besonderen Hymnen), bleibt aber von der Abstinenz geprägt (im Gegensatz zum lateinischen Brauch, wo der Samstag vor Palmsonntag liturgisch zur Karwoche gehört).
Zusammenfassend erfüllen die Heiligenfeste während der Fastenzeit zwei Funktionen: Erinnerung und Ermutigung. Sie erinnern an heroische Glaubenszeugen und Ereignisse der Heilsgeschichte (etwa Mariä Verkündigung) und ermutigen die Gläubigen, selbst in der Buße auszuharren und im Glauben zu wachsen. Liturgisch bringen diese Feste Abwechslung in die strenge Fastenzeit, ohne deren Charakter zu unterbrechen – die Lesungen bleiben passend, und in den meisten Fällen bleiben sogar die liturgischen Farben und der Verzicht (z.B. kein Halleluja, kein Gloria etc.) wie an anderen Fastentagen bestehen. So fügt sich beispielsweise das Fest der Verkündigung harmonisch ein: Es erinnert daran, dass auch in Zeiten der Buße die Freude über das Heil präsent ist.

5. Leseordnung der Armenischen Kirche
in der Großen Fastenzeit (Tabellarische Übersicht)
Abschließend fasst die folgende Tabelle die Leseordnung während der Fastenzeit in der Armenischen Kirche zusammen. Sie gibt einen Überblick über die Lesungen an den verschiedenen Wochentagen, besonderen Gedenktagen und Sonntagen sowie deren thematische Schwerpunkte:
Zeitraum / Tag | Lesungen (Beispiele) | Themen / Anmerkungen |
---|---|---|
Vorfastensonntag / Bun Barekendan | Evangelium: Matthäus 6:1-21 (Aufruf zu wahrer Frömmigkeit) Epistel: (Römer 13:11-14) | “Barekendan” – Tag der Freude vor Fastenbeginn; Gottes Segen in der Schöpfung feiern, bevor das Fasten startet. Am Ende der Liturgie wird der Vorhang geschlossen (Symbol der Vertreibung aus dem Paradies) |
Montag, Dienstag, Donnerstag (1., 3., 4., 5., 6. Fastenwoche) | 19 ausgewählte Bibellesungen aus AT und NT, verteilt über diese Tage (je 1–2 Lesungen pro Tag). Beispiele: Schöpfungsbericht (Gen 1), Opferung Isaaks (Gen 22), Prophetische Verheißungen (Jes 55), neutestamentliche Texte über Taufe (z.B. Joh 3) usw. – insgesamt 19 Perikopen. | Katechetischer Zyklus für Taufbewerber: Vermittlung von Grundthemen des christlichen Glaubens. Fokus auf Taufe und Glaubensbekenntnis – die Lesungen dienten einst als „Lehrplan“ für die Vorbereitung auf die Taufe in Jerusalem. Dieser alte Zyklus (von Hl. Kyrill von Jerusalem) ist einzigartig für den armenischen Ritus. |
Mittwochs (alle Fastenwochen) | Fortlaufende Lesung AT: Beginn des Buches Exodus (Kap. 1–5 im Verlauf der Fastenwochen) und Buch Joel (größtenteils). | Umkehr und Befreiung: Der Auszug Israels aus der Knechtschaft (Exodus) und der Aufruf des Propheten Joel zur Buße stehen paradigmatisch für die Fastenzeit. Diese fortlaufenden Lesungen wurden aus der Jerusalemer Liturgie übernommen und betonen Gottes Rettungtat und den Ruf zur Umkehr. |
Freitage (alle Fastenwochen) | Fortlaufende Lesung AT: Ausschnitte aus Deuteronomium (z.B. Moses’ Mahnreden) und aus dem Buch Ijob (Leidensgeschichte, in Auszügen fortlaufend gelesen). | Gehorsam und Glaubensprüfung: Die Lesungen aus dem Gesetz (Dtn) mahnen zu Treue gegenüber Gottes Geboten; Ijobs Geschichte lehrt Standhaftigkeit im Leiden. Beide Texte stärken die Fastenden in der Haltung, den Willen Gottes anzunehmen und in Prüfungen auszuharren. |
2. Woche (Mo, Di, Do) Besonderheit | Sonderzyklus von Lesungen: Abschnitte aus 1. Samuel (z.B. Hanna’s Gebet, Gott ruft Samuel), Sprüche (Weisheitslehren) und Jeremia (Prophetengericht) ersetzen hier ausnahmsweise die Katechumenen-Lesungen. | Historische Reminiszenz: Dieser Zyklus repräsentiert eine ältere Fastenordnung, als die Fastenzeit erst später begann. Vermutlich waren dies ursprünglich die Lesungen der ersten Fastenwoche, bevor die 40 Tage auf die heutige Länge ausgedehnt wurden. In der aktuellen Praxis „unterbrechen“ sie einmalig den gewöhnlichen Ablauf und verleihen der 2. Woche einen etwas anderen Akzent (Gericht und Weisheit). |
Samstags (aller Fastenwochen) Heiligen-Gedenktage | Proprium je nach Fest: Lesungen passend zum jeweiligen Heiligenfest. In der Regel eine AT-Lesung (Prophet oder Weisheit), eine Epistel und ein Evangelium, die Bezug zum Heiligen nehmen. Beispiele:
| Heiligenvorbilder in der Fastenzeit: An jedem Samstag wird ein besonderer Märtyrer/Heiliger geehrt. Die Auswahl umfasst sowohl universale Heilige (z.B. 40 Märtyrer) als auch nationale armenische Heilige (z.B. hl. Gregor). Dies erinnert die Gläubigen daran, dass Fasten und Heiligkeit zusammengehören. Die Lesungen an diesen Tagen heben Tugenden wie Glaubenstreue, Mut und Geduld hervor, die in den Lebensgeschichten der Heiligen sichtbar wurden. Die armenische Kirche hat diese Samstagsgedenken selbst eingeführt, da in der alten Jerusalemer Tradition Samstage ohne spezielle Lesungen waren. Somit bringen sie eine nationale Note in die österliche Vorbereitungszeit ein. |
Sonntags (Fastensonntage) mit Namen und Themen | Jeweils 2 Lesungen: ein Apostelbrief (Epistel) und ein Evangelium. Beispiele 2025:
| Themenreihe: Jede Fastensonntag hat ein einzigartiges Thema und armenisches Benennungsdatum. Diese sechs Sonntage führen chronologisch und spirituell vom Zustand des gefallenen Menschen hin zur Erlösung: • Poon Barekendan (Vorfasten-Sonntag): Freude der Schöpfung, Sermon on the Mount (Mt 5–7) als Wegweisung für die Fastenzeit. • Expulsion (Vertreibung): Erinnerung an Adams und Evas Sündenfall – Notwendigkeit der Buße (Genesis-Lesung). • Prodigal Son (Verlorener Sohn): Thema Reue und Gottes Barmherzigkeit – Gott empfängt den reumütigen Sünder. • Steward (Verwalter): Verantwortlichkeit – der Christ soll sein Leben gemäß Gottes Willen „verwalten“ (moralische Erneuerung). • Judge (Richter): Beharrliches Gebet und Gerechtigkeit – Aufruf, im Glauben nicht nachzulassen. • Advent (Ankunft): Blick auf die Wiederkunft Christi und Vorbereitung darauf im Lichte seines ersten Kommens. Diese Themen verbinden persönliche Askese mit Heilsgeschichte. Interessanterweise stimmen die Evangelien der armenischen Sonntage oft mit der orthodoxen Tradition überein (in der Kilikenischen Zeit übernommen), doch die Deutungsschwerpunkte und Benennungen sind eigenständig armenisch geprägt. |
40. Tag – Freitag vor Palmsonntag Abschluss der 40 Tage | Gelegentlich Fest der Verkündigung an Maria: Lesungen z.B.: Jesaja 7:10-16 (Prophezeiung der Jungfrauengeburt); Hebräer 2:11-18 (Christus teilt unser Fleisch); Evangelium: Lukas 1:24-38 (Verkündigungsbericht). | Verkündigung des Herrn – ein Fest innerhalb der Fastenzeit. Die Botschaft der Menschwerdung Christi bringt Freude in die Bußzeit: Gott wird Mensch, um uns zu erlösen. Trotz Festcharakter bleibt es ein Fastentag (nach armenischer Tradition). Theologisch leitet dieses Fest zum Geheimnis der Erlösung über: Mariä „Ja-Wort“ steht am Anfang des Heilsplans, der in Kreuz und Auferstehung mündet. |
Lazarus-Samstag (41. Tag, Vortag Palmsonntag) | Evangelium: Johannes 11:1-45 (Auferweckung des Lazarus); dazu passende Prophetenlesung (Ez 37,12-14: Öffnung der Gräber) und Epistel (Philipper 3:10-14 Wort: Anteil an Christi Auferstehung). | Gedächtnis der Auferweckung des Lazarus. Dieses Ereignis – einzigartig am Übergang zur Karwoche – bestätigt die Macht Christi über den Tod und gibt einen Vorausblick auf Ostern. Die Fastenzeit geht damit nahtlos in die Feier des Lebens über. Liturgisch ist Lazarus-Samstag schon von österlichem Glanz erfüllt (Hymnen von Auferstehung), bleibt aber noch Teil der Vorbereitung auf den Einzug Christi am Palmsonntag. |
Die Große Fastenzeit in der Armenischen Kirche vereint in ihrer Leseordnung historische Tiefe und geistliche Pädagogik. Von den frühchristlichen Wurzeln in Jerusalem (mit ihren fortlaufenden biblischen Lesungen und Taufkatechesen) bis zu den eigenen armenischen Zusätzen (Heiligenfeste samstags, spezielle Sonntagsthemen) spannt sich ein Bogen, der die Gläubigen durch eine innere Pilgerreise führt. Im Vergleich zu anderen Traditionen zeigt sich die Eigenart der armenischen Fastenzeit besonders in der Verbindung von Lehre und Liturgie: Buße wird nicht nur praktiziert, sondern durch biblische Geschichten und Glaubenslehren reflektiert und verstanden. Die theologische Botschaft ist klar: Die Fastenzeit ist ein „geistlicher Frühling“, in dem der Mensch durch Umkehr und Gottes Wort zu neuer Blüte gelangt, um dann in Freude das Osterfest – die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn – feiern zu können.

Zum Schluss
Die Große Fastenzeit der Armenischen Apostolischen Kirche ist weit mehr als eine Zeit des Verzichts – sie ist ein geistlicher Weg, der den Gläubigen zur inneren Erneuerung und zur tieferen Verbundenheit mit Gott führen soll. Die Leseordnung der Fastenzeit ist bewusst so gestaltet, dass sie den Menschen schrittweise durch die Themen der Buße, der Demut, der Vorbereitung auf das göttliche Gericht und der Hoffnung auf Erlösung leitet. Dabei spielen nicht nur die biblischen Texte eine Rolle, sondern auch die Heiligenfeste, die während der Fastenzeit gefeiert werden und die Verbindung zwischen biblischer Geschichte und der armenischen Glaubenserfahrung verdeutlichen.
Im Vergleich zur orthodoxen und katholischen Tradition zeigt sich, dass die Armenische Kirche ihre eigene Struktur der Fastenzeit entwickelt hat – mit einer klar definierten 40-tägigen Fastenzeit, gefolgt von der Fastenwoche der Passion. Während die orthodoxe Kirche eine intensivere Vorbereitungsphase kennt und die katholische Kirche den Aschermittwoch als markanten Auftakt setzt, bleibt die armenische Tradition ihrer alten Struktur treu, die an die 40 Tage des Fastens Christi erinnert.
Trotz der liturgischen Unterschiede verbindet alle christlichen Traditionen das gemeinsame Ziel der Fastenzeit: die Vorbereitung auf die Feier der Auferstehung Christi. In dieser Zeit werden Gläubige dazu aufgerufen, nicht nur auf weltliche Genüsse zu verzichten, sondern sich bewusst der Heiligen Schrift, dem Gebet und den Werken der Nächstenliebe zuzuwenden. Fasten ist somit nicht nur ein äußerlicher Ritus, sondern eine innere Haltung, die den Menschen verwandelt und ihn Christus näherbringt.
Die Große Fastenzeit bleibt eine Einladung zur Stille, zur Reflexion und zur Erneuerung des eigenen Glaubens. Sie erinnert daran, dass der Weg der Umkehr immer auch ein Weg der Gnade ist – und dass das Licht der Auferstehung am Ende dieser 40-tägigen Pilgerreise wartet.