Die Rolle des Bischofs von Rom und
die Wiederaufnahme des Titels
„Patriarch des Westens“
Ein kritischer Blick
auf aktuelle Entwicklungen
Im Zuge der Veröffentlichung des neuen vatikanischen Dokuments „Der Bischof von Rom“ und der Entscheidung von Papst Franziskus, den Titel „Patriarch des Westens“ wieder anzunehmen, sind in der christlichen Welt bedeutende Diskussionen entbrannt. Beide Ereignisse werfen Licht auf zentrale Fragen der ökumenischen Beziehungen und die Rolle des Papsttums im 21. Jahrhundert. Neben dem Vertreter der Anglikanischen Kirche hat u.a. auch der Vertreter der Armenischen Apostolischen Kirche S. E. Erzbischof Khajak Parsamian das Dokument begrüßt und die Hoffnung geäußert, dass dieser Schritt der Entwicklung der ökumenischen Gespräche dient.
Von Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Das Dokument „Der Bischof von Rom“:
Ein Schritt zur Einheit?
Das Dokument „Der Bischof von Rom“, veröffentlicht vom Präfekten des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, bietet eine umfassende Analyse der bisherigen ökumenischen Gespräche zum Thema Papstum, die sein fast dreißig Jahren laufen. Das Dokument fasst die Ergebnisse dieser Gespräche zusammen.
Bischof Dr. Gerhard Feige, Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, betont insbesondere die Bedeutung der Synodalität sowohl innerhalb der katholischen Kirche als auch im Verhältnis zu anderen christlichen Kirchen. Die Entwicklung synodaler Formen und die Stärkung der Bischofskonferenzen werden als zentrale Aufgaben identifiziert. Besonders bemerkenswert ist die Forderung nach einer „Relecture“ des Jurisdiktionsprimats des Ersten Vatikanischen Konzils, um diesen unter Berücksichtigung historischer Umstände und der Weiterentwicklung durch das Zweite Vatikanische Konzil neu zu formulieren.[1]
Dass der Vorschlag regelmäßige Treffen der Patriarchen und Kirchenleitungen („conciliar fellowship“) einzuführen, positiv bewertet wird, kann aus unserer Sicht so verstanden werden, dass man dadurch die Stärkung der Synodalität der Kirche erreichen und ein sichtbares ökumenisches Zeichen setzen will. Sicherlich kann man daran ein positives Zeichen erkennen, doch es bleiben immer noch weitere gravierende Fragen zu klären, wie die weiteren Titel des Papstes, die auf seinen weltweiten Machtanspruch andeuten.
Kurz bevor das Dokument veröffentlicht wurde, hat der Papst seinen Titel „Patriarch des Westens“ wiederaufgenommen. Ein Schritt, welcher nicht eindeutig zu bewerten ist.
Die Wiederaufnahme des Titels „Patriarch des Westens“:
Zeichen der Versöhnung oder Machtdemonstration?
Parallel zur Veröffentlichung des Dokuments hat Papst Franziskus den historischen Titel „Patriarch des Westens“ wieder angenommen, der vom Papst Benedigt XVI abgesetzt wurde. Diese Entscheidung hat in der orthodoxen Welt gemischte Reaktionen hervorgerufen.
Einige orthodoxe Theologen begrüßen diesen Schritt als Zeichen der Versöhnung und Anerkennung der gemeinsamen Wurzeln der katholischen und orthodoxen Kirche. Andere hingegen sehen darin eine potenzielle Machtdemonstration, die die Spaltung zwischen Ost und West weiter vertiefen könnte. Selbst einige katholische Zeitschriften wie z.B. kath.ch[2] oder katholisch.de[3] sehen in diesem Schritt nicht nur ein Signal für die Ökumene, sondern auch ein Signal gegen Moskau.
Damit das Problem verständlich wird, sollten wir einen Blick auf die Kirchengeschichte werfen. Im 5. Jahrhundert etablierte das Ökumenische Konzil von Chalcedon eine Rangfolge der fünf wichtigsten Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Diese „Pentarchie“ repräsentierte die gemeinsame Leitungsgewalt der fünf Patriarchen als Nachfolger der Apostel, wobei Rom wegen der Apostelgräber den Ehrenvorrang hatte.
Jedes Patriarchat hatte ein eigenes Territorium und unterstellte Metropoliten und Bischöfe. Doch wichtige theologische und kirchenrechtliche Entscheidungen, wurden auf ökumenischen Konzilien getroffen. Nach der Großen Schisma mit Roms und dem Untergang des Römischen Reiches mit dem Fall von Konstantinopel im Jahr 1453, wurde Moskau 1589 zum Patriarchat und versteht sich bis heute als „Drittes Rom“. Daher könnte die Wiederaufnahme des Titels „Patriarch des Westens“ durch Papst Franziskus eine Geste zur Stärkung des ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. gegenüber dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. sein und die Position Moskaus schwächen.
Die Wiederaufnahme des Titels „Patriarch des Westens“ kann dennoch als Versuch gesehen werden, die Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen zu verbessern, die in den letzten Jahren angespannt waren. Andererseits könnte sie als Ausdruck des universalen Führungsanspruchs des Papsttums interpretiert werden, was die bestehenden Spannungen weiter verschärfen kann.
Die orthodoxe Tradition kennt keinen Patriarchen des Westens. Vielmehr war in der Geschichte der Alten Kirche bis zu der Großen Schisma im Jahre 1054 der Patriarch von Rom als Erster unter Gleichen bekannt. Zum ersten Mal wurde der Titel „Patriarch des Westens“ von Papst Theodor I. eingeführt, einem im 7. Jahrhundert in Jerusalem geborenen Griechen. Es wurde jedoch offiziell den Päpsten zugeteilt, nachdem Papst Pius IX. es 1863 im Annuario Pontificio eingetragen hatte. Von diesem Zeitpunkt an bis 2006 wurden alle neun Papsttitel im statistischen Jahrbuch des Vatikans aufgeführt: Bischof von Rom, Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, oberster Pontifex der Weltkirche, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der römischen Provinz, Souverän des Stadtstaates Vatikan, Diener der Diener Gottes und Patriarch des Westens. Seit April 2024 wurde dann der Titel Patriarch des Westens wiederaufgenommen.
Fazit: Eine komplexe Zusammenarbeit ist erforderlich
In dem vatikanischen Dokument wird darauf hingewiesen, dass einige Lehren des Ersten Vatikanischen Konzils „tief in ihrem historischen Kontext verwurzelt“ sind. Es wird vorgeschlagen, dass die katholische Kirche neue Ausdrucksformen und Vokabular finden sollte, die dem ursprünglichen Sinn treu bleiben, aber in die „Kommunio“-Ekklesiologie integriert und an den aktuellen kulturellen und ökumenischen Kontext angepasst sind.
Das Dokument beschreibt, wie ökumenische Dialoge die Formulierung des Dogmas der Unfehlbarkeit des Papstes klären und sich auf einige Aspekte seiner Zielsetzung einigen konnten. Dabei wird die Notwendigkeit einer persönlichen Ausübung des Lehramtes in bestimmten Umständen anerkannt, wobei das christliche Einheit als Einheit in Wahrheit und Liebe verstanden wird.
Trotz dieser Klärungen äußern die Kirchen des Ostens weiterhin Bedenken bezüglich des Verhältnisses der Unfehlbarkeit zur Vorrangstellung des Evangeliums, zur Unfehlbarkeit der gesamten Kirche, zur Ausübung der bischöflichen Kollegialität und zur Notwendigkeit der Rezeption.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Entwicklungen im Vatikan und der Wunsch des Papstes Franziskus sich für die Ökumene einzusetzen das Potenzial haben, einerseits die ökumenischen Beziehungen zu stärken, aber andererseits sie zu belasten, wenn sie für politische Zwecke verwendet werden. Es wird entscheidend sein, wie diese Initiativen von den orthodoxen Kirchen und anderen christlichen Gemeinschaften aufgenommen werden.
Die Zukunft der Beziehungen zwischen der katholischen, der orthodoxen und der altorientalischen Kirche hängt davon ab, ob es gelingt, Brücken zu bauen und die unterschiedlichen Traditionen und Identitäten zu respektieren. Der Dialog muss auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und der Suche nach Gemeinsamkeiten fortgesetzt werden, wobei kritische Fragen nicht außeracht gelassen werden dürfen. Nur so können die historischen Spaltungen überwunden und eine echte christliche Einheit erreicht werden, was eine komplexe Zusammenarbeit erfordert.
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[1] Siehe: https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/vatikanisches-dokument-der-bischof-von-rom-1 (21.06.2024).
[2] Vgl.: https://www.kath.ch/newsd/signal-fuer-die-oekumene-und-womoeglich-gegen-moskau-der-papst-traegt-wieder-den-titel-patriarch-des-westens/ (21.06.2024)
[3] Vgl.: https://katholisch.de/artikel/52523-der-papst-traegt-wieder-den-titel-patriarch-des-westens (21.06.2024)