Johannes Chrysostomos
Der Goldmund der Kirche
Heute, am Festtag des heiligen Johannes Chrysostomos, blickt die Armenische Apostolische Kirche auf eine Gestalt zurück, deren Stimme wie kaum eine andere die Herzen der Gläubigen bewegt und die theologischen Fundamente des Christentums bereichert hat. Johannes, geboren um 347 in Antiochien, blieb seiner Botschaft der Nächstenliebe, Wahrheit und Demut bis zum letzten Atemzug treu – eine innere Größe, die ihm den Beinamen Chrysostomos, der „Goldmund“, eintrug.
Johannes’ Leben war von Beginn an außergewöhnlich. Nach dem frühen Tod seines Vaters wurde er von seiner Mutter Anthusa in christlicher Tugend erzogen. Diese widmete sich mit einer Hingabe der Erziehung ihres Sohnes, die bereits den Geist großer Asketen und Mystiker vorwegnahm. Johannes wuchs unter der Anleitung kluger Lehrer und Philosophen heran und brillierte bald als Redner und Denker. Doch inmitten der philosophischen Strömungen seiner Zeit zog es ihn zur stillen Versenkung und zum Studium der Heiligen Schrift, die ihm – wie er selbst sagte – „alles Wissen schenkte, das die menschliche Seele zu tragen vermag“.
Seine erste Berufung empfing Johannes in Antiochien, wo er unter der Anleitung des Bischofs Meletios die Kunst des geistlichen Lebens erlernte. Hier begann sein unermüdliches Werk als Prediger. Während der zwölf Jahre seines Dienstes in der Gemeinde Antiochien hielt er zwei Mal wöchentlich, oft sogar täglich, seine Predigten – eindringlich, glühend und inbrünstig, ganz dem Ziel verschrieben, die Worte Christi lebendig werden zu lassen. Seine Reden waren so kraftvoll, dass selbst die einfachen Fischer, Händler und Bauern, die ihn hörten, die Geheimnisse der Bibel wie in einem klaren Spiegel zu verstehen meinten.
Doch Johannes Chrysostomos war nicht nur ein Meister der Worte, sondern auch ein unbestechlicher Verteidiger der Armen und Bedrängten. In seiner Zeit als Priester und später als Bischof von Konstantinopel gründete er Einrichtungen für Waisen, Arme und Kranke, verkaufte oft die kostbaren Geschenke, die er erhielt, und scheute sich nicht, mächtige Personen wie die Kaiserin Eudoxia für deren Ungerechtigkeit zu tadeln. So beschuldigte er die Kaiserin öffentlich, nachdem sie eine arme Witwe enteignet hatte. Sein Mut und seine Leidenschaft für das Evangelium trugen ihm die Feindschaft vieler ein, die seinen kompromisslosen Worten nicht standhalten konnten. Diese Konflikte führten letztlich zu seiner Verbannung, doch auch im Exil blieb Johannes eine leuchtende Stimme des Glaubens. In zahlreichen Briefen tröstete und unterwies er seine Anhänger, ermutigte sie, im Glauben standhaft zu bleiben, und riet ihnen, die Tugenden nicht zu verlassen.
Sein Werk umfasst Hunderte von Predigten, Exegesen und Briefen, darunter Klassiker der christlichen Theologie wie seine „Sechs Worte über das Priestertum“. Doch mehr als das geschriebene Wort, ist es die unvergängliche Kraft seiner Worte, die Johannes Chrysostomos zur Stimme der christlichen Wahrheit und Nächstenliebe machten. In einer seiner berühmtesten Aussagen warnte er vor der Spaltung der Kirche: „Die Kirche zu zerreißen ist nicht weniger schlimm, als in eine Häresie zu verfallen.“ Damit appellierte er nicht nur an das Herz seiner Zeitgenossen, sondern ließ durch die Jahrhunderte hindurch die Einheit der Kirche als unantastbares Gut erscheinen.
Heute erinnern sich die Gläubigen an Johannes Chrysostomos als eine unvergleichliche Stimme des Evangeliums, einen unermüdlichen Verkünder der göttlichen Liebe und Gerechtigkeit. In seinen Predigten lebt er fort, und wer aufmerksam zuhört, kann vielleicht auch heute noch das lebendige Echo seiner Worte spüren: „Ehre sei Gott für alles!“ So ging er in die Ewigkeit ein, mit diesen letzten Worten, die wie ein Segen über seine Zuhörer hinweg bis in die heutige Zeit hallen.