Schöpfungsbewahrung und Menschenwürde:
Die Unteilbare Ethik der Klimagerechtigkeit
Teil I: Die Unteilbare Ethik von Klima und Menschenrechten
Die COP29-Klimakonferenz in Baku wirft drängende ethische Fragen auf, die nicht nur die Verantwortung für die Schöpfung betreffen, sondern auch den Kern der menschlichen Würde. Wie können die führenden Nationen der Welt über Klimagerechtigkeit sprechen, wenn das Gastgeberland – Aserbaidschan – gleichzeitig grundlegende Menschenrechte verletzt und gezielt Minderheiten vertreibt? In einem theologischen und moralischen Kontext betrachtet, fordert uns diese Konferenz dazu auf, eine tiefergehende Reflexion über die Unteilbarkeit von Umweltverantwortung und Menschenwürde anzustellen.
Die Schöpfung ist in der christlichen Theologie nicht bloß eine Ansammlung von Ressourcen, sondern Ausdruck göttlicher Weisheit und Güte. Sie ist als ein Raum der Gerechtigkeit gedacht, in dem alle Menschen – unabhängig von ihrer ethnischen oder kulturellen Herkunft – in Würde und Sicherheit leben sollen. Diese Grundlage wird durch die systematische Unterdrückung des armenischen Volkes in Aserbaidschan zutiefst verletzt. Das Leid der armenischen Kriegsgefangenen, die weiterhin unter unmenschlichen Bedingungen in Baku festgehalten werden, zeigt deutlich, wie die Missachtung der Menschenwürde im Widerspruch zu jedem ernsthaften Bemühen um „Klimagerechtigkeit“ steht.
Teil II: Die Vertreibung und Bedrohung des armenischen Kulturerbes
Ein Aspekt, der in den Diskussionen zur COP29 nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die fortgesetzte Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus ihren historischen Heimatgebieten, zuletzt im September 2023. Mehr als 120.000 Armenier wurden gezwungen, ihre Häuser, Kirchen und Kulturgüter in der Region Arzach (Berg-Karabach) zu verlassen. Diese Vertreibung ist mehr als ein geopolitisches Problem; sie ist ein Angriff auf das kulturelle und spirituelle Erbe eines ganzen Volkes. Aserbaidschans Absicht, die armenische Präsenz und Identität in diesen Regionen zu zerstören, zeigt sich in der systematischen Bedrohung und Zerstörung armenischer Kirchen, Klöster und Kulturstätten.
Die Bedrohung des kulturellen Erbes ist nicht nur ein historischer Verlust, sondern auch eine spirituelle Krise. In der christlichen Theologie sind Orte des Glaubens mehr als bloße Gebäude – sie sind Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses und der Identität eines Volkes. Wenn die internationale Gemeinschaft schweigt und Aserbaidschan diese Zerstörung ungestraft vorantreiben lässt, verfehlt sie ihre moralische Verpflichtung gegenüber der Menschheit und der Schöpfung.
Die Zerstörung von Kulturerbe im Zusammenhang mit der Klimakonferenz in Baku veranschaulicht eine tiefere Frage der moralischen Kohärenz. Wie können wir erwarten, dass eine Nation, die das kulturelle Erbe einer Minderheit systematisch zerstört, sich glaubwürdig für den Schutz der Natur einsetzt? Eine solche Haltung der Weltgemeinschaft kann nur als Heuchelei empfunden werden und untergräbt den wahren Geist der Klimagerechtigkeit.
Teil III: Eine Forderung nach kohärenter Moral und gerechter Schöpfungsethik
Angesichts dieser Widersprüche ist die Weltgemeinschaft aufgefordert, ihre Teilnahme an der COP29 in Baku nicht ohne klare Positionierung zu vollziehen. Die Verteidigung der Schöpfung muss mit einer Verteidigung der Menschenrechte Hand in Hand gehen. Gottes Gebot der Gerechtigkeit ist unteilbar und fordert von uns, dass wir uns nicht nur für die Natur, sondern auch für die Verfolgten und Vertriebenen einsetzen.
Die COP29 kann kein Forum sein, in dem Umweltanliegen von den moralischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit getrennt werden. Eine echte Klimagerechtigkeit verlangt eine umfassende Gerechtigkeit, die auch die Verteidigung der kulturellen Identität, des Lebens und der Freiheit jedes Einzelnen einschließt. Andernfalls riskieren wir, dass die Worte „Klimaschutz“ und „Gerechtigkeit“ leere Hüllen bleiben.
Diese Konferenz darf nicht einfach eine Plattform sein, auf der Staaten wie Aserbaidschan ihr internationales Ansehen aufpolieren, während sie gleichzeitig Völkermord, kulturelle Zerstörung und Entrechtung betreiben. Wenn die Weltgemeinschaft die Schöpfung ernsthaft bewahren will, dann muss sie den Menschenrechten dieselbe Aufmerksamkeit widmen. Alles andere wäre eine Missachtung der göttlichen Ordnung und ein Verrat an den Grundsätzen der wahren Gerechtigkeit.
Die theologische Pflicht zur moralischen Kohärenz
Als Christen glauben wir, dass Gottes Gerechtigkeit allumfassend ist und dass unsere Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung nicht von der Pflicht zur Verteidigung der Menschenrechte zu trennen ist. Die COP29 sollte als Gelegenheit dienen, die Nationen daran zu erinnern, dass wahre Schöpfungsbewahrung nur in einer Welt möglich ist, in der Gerechtigkeit für alle gilt – auch für die Armenier, die in Arzach um ihre Existenz und ihr Erbe kämpfen. Die internationale Gemeinschaft ist aufgefordert, hier mit einer klaren und kohärenten Moral zu handeln.
Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Gemeindepfarrer