Erzähl es deinen Kindern –
Die Armenischen Kulturtage Stuttgart 2025
Die Bühne ist klein, das Programm groß: Wenn sich am 16. Oktober die Türen zu den Armenischen Kulturtagen in Stuttgart öffnen, dann zieht ein Land ein, das viele hier nur aus den Fußnoten der Weltgeschichte kennen. Armenien – ein Name, der nach Bergen und Fresken klingt, nach Melancholie und Stolz. Und nach einem Erbe, das über Jahrhunderte immer wieder neu beginnen musste. In diesem Jahr tun es die Kulturtage mit einer erstaunlichen Leichtigkeit: zwischen Jazz und Lyrik, zwischen Kino, Tanz und Komitas.
„Erzähl es deinen Kindern“ – so lautet das Motto dieser Kulturtage, die bis zum 26. Oktober dauern. Es ist ein Satz, der zum Dialog der Generationen einlädt, aber auch eine leise Verpflichtung: das Weitergeben dessen, was sonst verstummen würde. Geschichten, Lieder, Erinnerungen, aber auch das Neue, das aus ihnen wächst.
Ein Land aus Klang und Erinnerung
Es beginnt mit einer Podiumsdiskussion zum Thema und einem KOnzert der Sopranistin Karine Babajanyan und Pianistin Lusine Khacahtryan. Der Pianist Tigran Tatevosyan, Nominee des Deutschen Jazzpreises 2025, verwandelt am 18. Oktober armenische Volkslieder in ein pulsierendes Mosaik aus Rhythmen und Improvisation. Sein Trio, mit Omar Rodriguez Calvo und Amir Bresler, schlägt jene Brücke, die der Jazz seit jeher sucht – zwischen Herkunft und Gegenwart, zwischen Schmerz und Freiheit. „Mer Tan Itev“, sein Debütalbum, ist dafür das klingende Manifest.
Ganz anders, und doch verwandt in der Tiefe, die Choreographin Rima Pipoyan. Ihre Stücke „Khali“ und „Voskor“ erzählen am 25. Oktober von Mythen, Teppichen, Farben – von Körpern, die Geschichte tragen. Pipoyan, eine der führenden Stimmen des modernen armenischen Tanzes, übersetzt Erinnerung in Bewegung: fünf Tänzerinnen, fünf Farben, fünf Jahrhunderte zwischen Licht und Schatten.
Und dann das Kino: Der Regisseur Arman Nshanyan zeigt mit „Songs of Solomon“ ein Epos über Komitas, den Musiker, der das Gedächtnis Armeniens in Noten schrieb. Ein Film, der das 20. Jahrhundert nicht verklärt, sondern befragt – und von der Macht erzählt, Musik gegen das Vergessen zu setzen. Die Dokumentarfilmerin Inna Sahakyan setzt diesem Gedanken mit „Aurora’s Sunrise“ ein animiertes Denkmal. Ihr Film über Aurora Mardiganian, eine Überlebende des Genozids, ist kein Historienkino, sondern ein zutiefst poetisches Werk über die Würde des Erzählens.
Stimmen der Erkenntnis
Zwischen den künstlerischen Akzenten nehmen sich die Kulturtage Zeit zum Denken. Die Philologin und Menschenrechtlerin Tessa Hofmann, eben erst mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, und der Geologe und Publizist Winfried K. Dallmann sprechen über „Das geopolitische Schicksal Armeniens“. Beide sind Chronisten einer Region, deren Leid oft in den Schatten gerückt wird – und die dennoch von erstaunlicher kultureller Lebenskraft zeugt.
Diese Kraft leuchtet auch in der Literatur. Naira Kochar, Dichterin zwischen Jerewan und Deutschland, liest aus ihrem neuen armenisch-deutschen Lyrikband „Auf den Flügeln des Lichts“. Ihre Verse über Liebe, Heimat und Gott verbinden religiöse Innigkeit mit einer modernen Sensibilität, die zugleich weiblich und universal ist. Begleitet wird sie von der Musikerin Lilit Kärcher-Sargsyan, deren Lieder zwischen Gebet und Bardentradition schweben – eine Stimme, die das Spirituelle sinnlich macht.
Nicht minder poetisch, aber für jüngere Ohren: Rusanna Danielian, Filmemacherin und Autorin, öffnet mit ihren Kinderbüchern „Courgetta Blue“ und „Paulus, der alte Storch“ eine verspielte, farbige Welt. In Workshops liest sie, bastelt und singt mit Kindern über Sprache, Fantasie und Herkunft – jene unscheinbare Pädagogik, die Kultur von morgen sät.
Eine neue Generation
Und dann, am Abend des 23. Oktober, die Zukunft: Arpine Kalinina, Komponistin und Pianistin, tritt mit ihren Schüler:innen auf. „Nor Serund – Neue Generation“ nennt sich ihr Projekt – und das ist keine Floskel. Diese jungen Musikerinnen und Musiker, allesamt Preisträger nationaler und internationaler Wettbewerbe, bringen ihre eigenen Werke auf die Bühne: Artashes Mosikyan, Arthur Grigoryan, Dalar Chichian, Hayk Julhakyan. Namen, die man sich merken sollte. Zwischen Komitas und Khachaturian klingt hier etwas Neues auf – eine Sprache der jungen Armenier, die die Zukunft schon in den Fingern tragen.
Ein kleines Festival mit großer Seele
Die Armenischen Kulturtage Stuttgart sind kein lautes Festival. Sie sind leise, präzise, zärtlich – ein Mosaik aus Stimmen, das seine Wirkung im Zuhören entfaltet. Vielleicht liegt darin ihr Zauber: dass sie nicht die großen Bühnen brauchen, um Weltkunst zu zeigen, sondern den Dialog zwischen den Menschen suchen.
„Wir leben zwischen Erinnerung und Aufbruch“, sagt eine Besucherin nach einem Konzert. Vielleicht ist das der schönste Satz über Armenien – und über ein Festival, das zeigt, wie Kultur Grenzen überschreitet, ohne ihre Wurzeln zu verlieren.
INFO
Armenische Kulturtage Stuttgart 2025
16.–26. Oktober 2025
Verschiedene Veranstaltungsorte in Stuttgart
Programm und Informationen:
https://armenische-kulturtage-stuttgart.de/