Ein neues Licht bricht an

Tschradaluyts am Heiligabend in der Armenischen Kirche

Die Armenische Kirche begeht das Hochfest der Geburt Christi am 6. Januar. Doch schon am Abend davor, am 5. Januar, versammeln sich die Gläubigen in den Kirchen zu einem besonders feierlichen Gottesdienst, Tschragaluyts. Dieses Wort bedeutet so viel wie „Lichterzünden“ oder „Anzünden von Lampen“ – und genau darin liegt auch sein Sinn: die Verkündigung des nahenden Lichts der Welt, Jesus Christus.


Ein Fest zweifacher Freude

Die Kirchenväter unterscheiden in unserer Tradition zwei Abende, an denen wir abends einen feierlichen Gottesdienst halten: zum Weihnachtsfest und zum Osterfest. An beiden Abenden verkündigen wir die frohe Botschaft:

  • „Christus ist geboren und erschienen!“
  • „Christus ist auferstanden von den Toten!“

Gerade an Weihnachten wird dieses Abendgottesdienstfeiern (Tschradaluyts) mit besonderen Zeremonien begangen. So beginnt der neue Tag – und damit das eigentliche Hochfest – bereits am Vorabend, wie es in der altkirchlichen Tradition üblich ist.


Die Geburt in der Nacht und die Taufe am Tag

Der große Kirchenlehrer Grigor Tathevatsi weist darauf hin, dass es zwei Gottesdienste rund um die Weihnachtszeit gibt:

  • Am Abend des 5. Januar – Tschragaluyts, bei dem wir an die Geburt Jesu Christi in der Nacht denken.
  • Am Morgen des 6. Januar – das Hochamt, in dem wir uns vor allem an die Taufe Jesu im Jordan erinnern, die am Tag geschah.

Wenn das Dunkel der Nacht zu leuchten beginnt

Nach armenischer Auffassung beginnt ein liturgischer Tag bereits am Vorabend. Sobald sich die Abenddämmerung einstellt, ruft die Kirche mit brennenden Lampen, Lichtern und Kerzen zur feierlichen Versammlung. Dabei werden biblische Texte verkündet, die die Ankunft Christi ankündigen:

  • Aus dem Evangelium nach Lukas (1,26-38 und 2,8-20),
  • Aus dem Evangelium nach Matthäus (1,18-25),
  • Ergänzt durch alttestamentliche Prophezeiungen, die das Kommen des Messias voraussagen.

Bevor der Priester den Altarraum betritt, ist dieser durch einen Vorhang verhüllt. Allmählich, während verschiedene Schriftlesungen ertönen, wird der Schleier zurückgezogen, und das Mysterium der bevorstehenden Geburt Christi erscheint symbolisch im Licht.


Liturgische Zeichen voller Tiefe

Diese Lesungen im Schein von Lampen und Kerzen verweisen auf das göttliche Licht, das den prophezeiten „Sohn der Jungfrau“ in die Welt bringt. So wie das Licht der prophetischen Worte bereits in der Finsternis aufleuchtete, so macht Tschradaluyts deutlich: Die Nacht, in der Jesus geboren wurde, ist erfüllt von einem neuen Glanz – jenem Licht, das dunkle Gedanken und Hoffnungenlosigkeit überwindet.

Das Wort „Tschradaluyts“ selbst (wörtlich: „Lampenanzünden“) erinnert uns an die jahrhundertealte Gewohnheit, als Zeichen der freudigen Erwartung eine Kerze an der Kirche zu entzünden und sie mit nach Hause zu nehmen. Diese Flamme soll das Wohnzimmer erhellen und unsere Herzen an den wahren Glanz Bethlehems erinnern.


Ein Abendmahl des Vorabends

Zur Tradition gehört ferner, dass man am Vorabend des Festes eher leichte, fleischlose Speisen zu sich nimmt. Oft wird Fisch, Milch- oder Gemüsegericht aufgetischt. Das ist keine strenge Fastenregel, sondern vielmehr ein Zeichen des Übergangs: Man befindet sich nicht mehr im üblichen Alltagsrhythmus, aber auch noch nicht ganz im Fest. Diese Art von „Mittelfasten“ – in der armenischen Tradition Nawakatarik genannt – öffnet unsere Sinne, damit die eigentliche Feier in der Nacht und am nächsten Morgen umso bewusster begangen wird.


Das weitergegebene Licht

Nach dem Ende der abendlichen Liturgie tragen viele Gläubige das Licht aus der Kirche mit nach Hause. Dieser Brauch erinnert an das Leuchten des Sterns von Betlehem, das auch bei Tag sichtbar war und die Weisen zum neugeborenen König führte. Ebenso symbolisiert er, dass wir alle aufgerufen sind, dieses göttliche Licht in die Welt hinauszutragen – zu unseren Familien, Freunden und Nachbarn, die wir an diesem Abend oft besuchen und ihnen die freudige Botschaft vermitteln.


Ein Vorgeschmack auf den großen Tag

Die kirchlichen Gebete und Riten beim Tschradaluyts-Gottesdienst sind eine feierliche Einstimmung: Wir werden vom Glanz der Verheißung auf das nahende Ereignis vorbereitet, wenn wir am 6. Januar schließlich die Geburt und Taufe Christi in ihrer ganzen Fülle feiern. Wie es der Kirchenlehrer Gregor der Theologe formuliert, ist dies ein Vorabend, an dem sich die Schar der Gläubigen wie Menschen versammelt, die einen nahenden König erwarten – mit Lichtern und Gesang ziehen wir ihm entgegen.


Möge das Licht dieses Abends unsere Herzen erleuchten und uns innerlich bereit machen für die strahlende Botschaft: „Christus ist geboren und erschienen! Frohe Botschaft an euch und an uns!“