Mehr Familie wagen – Warum sie die beste Entscheidung für die Zukunft ist!
Familie: Eine Entscheidung mit Folgen?
Die Zahl der Kinder in Deutschland hat sich in den letzten vierzig Jahren halbiert. Auch in unseren armenischen Gemeinden spüren wir das: Immer weniger junge Menschen gründen eine Familie. Die Gründe sind vielfältig – Angst vor Verantwortung, der Wunsch nach Unabhängigkeit, finanzielle Unsicherheit. Gleichzeitig sprechen Sozialwissenschaftler von einer „Renaissance der Familie“ – Familie wird wieder geschätzt, jedoch eher als Herkunfts- oder Elternhaus, nicht als selbst gewählte Lebensform mit Kindern.
Wie passt das zusammen? Warum wächst die Sehnsucht nach Familie, während die Bereitschaft, eigene Kinder zu bekommen, sinkt? Und wie können wir als christliche Gemeinschaft jungen Menschen Mut machen, Familie nicht als Last, sondern als Geschenk zu sehen?
Dyarnendaratsch – der Tag der jungen Familien – lädt uns ein, über diese Fragen nachzudenken.
Die größten Herausforderungen junger Familien
Angst vor Verantwortung – Wer will heute noch Vater oder Mutter sein?
Viele junge Menschen haben heute Angst vor der Verantwortung, die mit einer eigenen Familie einhergeht – sowohl Männer als auch Frauen. Während frühere Generationen oft ganz selbstverständlich Eltern wurden, erleben viele heute eine innere Blockade. „Bin ich bereit für Kinder? Kann ich diese Verantwortung tragen? Verliere ich dadurch meine Unabhängigkeit?“
Für Männer hat sich die Rolle des Vaters stark verändert. Früher war er in erster Linie der Ernährer, das Familienoberhaupt. Heute stehen Frauen auf gleicher Augenhöhe im Berufsleben, und viele Männer fragen sich: Was bedeutet es heute, Vater zu sein? Bin ich noch gebraucht? Habe ich als Vater eine klare Aufgabe?
Diese Unsicherheit führt oft zu einer Vermeidungsstrategie. Viele Männer verschieben die Familiengründung oder entscheiden sich bewusst dagegen, weil sie fürchten, nicht den gesellschaftlichen oder eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Sie haben Angst, ihren Lebensstandard zu verlieren oder sich in einer Rolle wiederzufinden, die sie nicht mitgestalten konnten.
Doch auch Frauen stehen unter Druck. Moderne Mütter sollen heute alles zugleich sein:
✔ Liebevolle Mutter
✔ Erfolgreiche Berufstätige
✔ Partnerin, die die Beziehung aktiv gestaltet
✔ Emotionale Stütze für die Familie
Dieser Druck kann überwältigend sein. Viele Frauen haben Angst, dass sie entweder als Mutter oder im Beruf versagen. Sie fürchten, den Anforderungen nicht gerecht zu werden – sei es finanziell, emotional oder organisatorisch.
Biblische Perspektive: Die Bibel gibt eine klare Antwort auf diese Sorgen:
„Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir.“ (Jesaja 41,10)
Ein guter Vater und eine gute Mutter zu sein bedeutet nicht, perfekt zu sein. Es bedeutet, da zu sein, sich einzubringen, mit Liebe Verantwortung zu tragen.
Die größte Freude im Leben kommt, so bezeugt die Tradition der Kirche, nicht aus Karriere oder materiellem Erfolg, sondern aus tiefen Beziehungen. Deshalb versteht man in der armenischen Tradition Mutter- und Vaterschaftnicht nicht als Kontrollverlust – sondern als eine Bereicherung, ein Segen.

Wohlstandsverlust – Kinder oder Eigentumswohnung?
Ein weiteres zentrales Thema für junge Menschen ist die finanzielle Unsicherheit. Studien zeigen, dass viele junge Erwachsene glauben, sie müssten sich entscheiden: Familie oder Wohlstand?
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Kosten für die Erziehung eines Kindes bis zum 18. Lebensjahr belaufen sich auf durchschnittlich 148.000 Euro. Gleichzeitig steigen die Preise für Immobilien und Lebenshaltungskosten immer weiter. Für viele scheint es finanziell klüger zu sein, auf Kinder zu verzichten oder ihre Familiengründung hinauszuzögern.
Doch ist finanzieller Wohlstand wirklich das höchste Gut? Ist es das, was uns am Ende des Lebens glücklich macht?
„Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.“ (Matthäus 6,34)
Gott verspricht uns, dass er sich um uns kümmern wird. Familie bedeutet nicht Armut, sondern einen anderen, tieferen Reichtum – den Reichtum an Liebe, Zusammenhalt und Erfüllung. Niemand blickt am Ende seines Lebens zurück und sagt: „Ich wünschte, ich hätte mehr Geld verdient.“ Aber viele sagen: „Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit meinen Kindern verbracht.“
Ja, Kinder kosten Geld. Ja, es ist eine Herausforderung, eine Familie finanziell zu versorgen. Aber der wahre Wert des Lebens liegt nicht im Bankkonto, sondern in den Momenten, die wir mit unseren Liebsten teilen.

Der Mythos der verlorenen Freiheit – Ist Familie eine Einschränkung?
Viele junge Menschen haben Angst, dass Familie ihre persönliche Freiheit einschränkt. Keine spontanen Reisen mehr, weniger Freizeit, Verantwortung rund um die Uhr. Diese Sorge ist nicht unbegründet, denn Elternsein bedeutet tatsächlich, dass man sich auf eine neue Lebensrealität einlässt – eine, die Planung, Fürsorge und Hingabe erfordert. Doch die entscheidende Frage ist: Was bedeutet Freiheit wirklich?
Unsere Gesellschaft vermittelt den Gedanken, dass wahre Freiheit darin besteht, alle Möglichkeiten offen zu halten, immer wählbar zu bleiben, sich nicht endgültig festzulegen. Dieser Gedanke ist tief in der modernen Kultur verankert: Wir sollen flexibel sein, unabhängig bleiben und jede neue Gelegenheit prüfen, bevor wir uns binden. Doch genau diese Haltung führt oft nicht zur Freiheit, sondern zur Unfähigkeit, echte Zugehörigkeit zu erleben.
Die Bibel zeigt uns, dass Familie von Anfang an ein göttlicher Plan war:
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ (1. Mose 2,18)
Gott hat den Menschen nicht als isoliertes Individuum erschaffen, sondern als ein Wesen, das in Beziehung steht – zu Gott und zu anderen Menschen. Freiheit ist in der biblischen Sicht kein absoluter Individualismus, sondern die Fähigkeit, sich in Liebe zu binden.
Eine falsche Vorstellung von Freiheit hält Menschen oft in einer Existenz der ewigen Möglichkeiten gefangen bleibt. Wer sich nie bindet, wer sich nie auf eine Entscheidung einlässt, bleibt in einem Zustand permanenter Unsicherheit. Die biblische Botschaft hingegen sagt: Freiheit besteht nicht darin, alle Türen offen zu lassen, sondern darin, eine Tür zu wählen und durch sie hindurchzugehen.
Familie ist genau eine solche Entscheidung. Sie ist eine selbstgewählte Bindung, die nicht einengt, sondern Leben ermöglicht. Ein Kind großzuziehen, Verantwortung zu übernehmen und ein Zuhause zu schaffen, bedeutet nicht den Verlust der Freiheit – sondern eine tiefere Form der Freiheit, die aus Liebe und Hingabe erwächst.
Einsamkeit als Schatten der Unabhängigkeit
Einsamkeit ist heute eine der größten Herausforderungen der modernen Gesellschaft. Nie zuvor waren Menschen so vernetzt, und doch nie zuvor so isoliert. Der Preis für totale Unabhängigkeit ist oft Vereinsamung, emotionale Entfremdung und das Gefühl, keine tiefe Zugehörigkeit zu haben.
Wer sich nicht binden will, um flexibel zu bleiben, merkt oft zu spät, dass ihm die tiefste Form von Glück fehlt: das Wissen, dass es einen Ort gibt, an den man gehört, dass es Menschen gibt, die einen lieben – nicht wegen Erfolgen oder Status, sondern einfach, weil man da ist. In diesem Sinne ist Familie ein Ort des Ankommens. Ein Ort, an dem man so sein darf, wie man ist, an dem Liebe nicht verdient werden muss, sondern geschenkt wird. Das lernen wir ja in unserer Kirche, durch Jesus Christus, in dem wir unsere Freiheit vollständig den uns liebenden Gott anvertrauen, frei entscheiden und sagen sagen: „Dein Wille Geschehe“. Wir binden uns und erhalten die wahre Freiheit. Und genau diese Bindung ist es, die uns zur wahren Freiheit führt.

Warum sich Familie lohnt – Die unermesslichen Chancen
Trotz aller Herausforderungen gibt es so viele gute Gründe, sich für eine Familie zu entscheiden.
- Familie gibt Identität: Jeder Mensch sehnt sich nach Zugehörigkeit. Familie bedeutet, einen festen Platz im Leben zu haben.
- Familie stärkt den Charakter: Kinder lehren uns Geduld, Liebe und Selbstlosigkeit. Sie fordern uns heraus, aber sie lassen uns auch wachsen.
- Familie gibt dem Leben Sinn: Karriere und Erfolg sind wichtig, aber was bleibt am Ende unseres Lebens? Familie gibt bleibende Werte weiter.
- Familie ist Gottes Plan: Die erste Gemeinschaft, die Gott geschaffen hat, war nicht eine Regierung oder eine Organisation – sondern eine Familie.
Wie kann die Kirche als Gemeinschaft junge Menschen ermutigen?
Die Armenische Kirche, nicht nur als Institution sondern vor allem als Gemeinschaft, hat eine besondere Aufgabe: Sie kann junge Menschen stärken, ihnen Mut machen und ihnen eine Vision für Familie geben. Es geht dabei nicht nur um Worte und Predigten, sondern um praktische Hilfe, die junge Familien hier in Deutschland – und konkret in Baden-Württemberg – unterstützt.
Was können wir als Gemeinschaft tun?
- Vorleben statt nur predigen: Junge Menschen brauchen Vorbilder, die zeigen, dass Familie etwas Schönes ist.
- Praktische Unterstützung bieten: Elternnetzwerke, Mentoren-Programme für junge Väter und Mütter, Nachbarschaftshilfe für Familien.
- Partnerschaft und Erziehung stärken: Workshops für Paare, Kurse zur christlichen Kindererziehung.
- Männer aktiv einbinden: Junge Männer brauchen eine neue Rolle als Väter – die Kirche kann ihnen helfen, diese zu finden.
- Frauen gezielt stärken: Mütter brauchen Unterstützung. Frauen-Netzwerke, Programme mit gezielter Förderung und Unterstützung.
Familie ist also keine rein private Entscheidung, die jeder für sich allein treffen muss. Familie ist eine gesellschaftliche Verantwortung. Die Frage ist nicht nur, ob junge Menschen sich für Familie entscheiden, sondern auch, ob unsere Gesellschaft ihnen überhaupt die Möglichkeit gibt, sich für Familie zu entscheiden. Wenn wir als Gemeinde wirklich daran glauben, dass Familie ein göttlicher Segen ist, dann dürfen wir nicht schweigen. Wir müssen handeln. Und wenn ich sage wir, dann um zu unterstreichen, dass dies nicht allen von einem Pfarrer und nicht von einem Kirchenvorstand, sondern von der gesamten Kirchengemeinde getragen werden soll.

Schlussgedanke: Mehr Familie wagen – Eine Entscheidung für das Leben
Unsere moderne Gesellschaft betrachtet Familie oft als eine Belastung, eine Einschränkung der persönlichen Freiheit oder gar als ein finanzielles Risiko. Junge Menschen hören von allen Seiten:
❌ „Familie ist eine Last.“
❌ „Kinder kosten nur Geld.“
❌ „Du kannst erst Familie haben, wenn alles perfekt ist.“
Diese Denkweise hat tiefe Wurzeln. Sie entspringt einer utilitaristisch-hedonistischen Kultur, die Individualismus über Gemeinschaft stellt, in der persönliche Verwirklichung oft höher bewertet wird als Selbsthingabe und Verantwortung. Der Mensch unserer Zeit strebt danach, sein Leben möglichst flexibel zu halten, Optionen offenzulassen und Risiken zu vermeiden. Familie jedoch bedeutet: Verbindlichkeit, Hingabe und das Akzeptieren von Grenzen. Doch ist es wirklich ein Verlust, wenn wir uns entscheiden, für andere da zu sein?
Hier steht die biblische Perspektive im starken Kontrast zur modernen Angst vor Bindung. In den Augen Gottes ist Familie nicht ein Hindernis auf dem Weg zur Selbstverwirklichung, sondern ein Weg zu tieferem Leben, zu echter Liebe und zu einer größeren Freiheit, als die Welt sie kennt.
✔ „Kinder sind ein Segen.“ (Psalm 127,3)
✔ „Ich werde euch versorgen.“ (Matthäus 6,26)
✔ „Ihr müsst keine Angst haben.“ (Jesaja 41,10)
Die Heilige Schrift zeigt uns immer wieder, dass Familie ein Spiegel der Beziehung zwischen Gott und Mensch ist. Gott selbst ist Beziehung, in der Dreifaltigkeit, im Bund mit seinem Volk, in der Liebe Christi zur Kirche. Wer liebt, bindet sich. Wer liebt, gibt sich hin. Wer liebt, gewinnt das Leben.
Wenn wir also eine Familie gründen, tun wir mehr als nur eine private Entscheidung zu treffen. Wir sagen Ja zum Leben. Wir sagen Ja zur Zukunft. Wir entscheiden uns für eine Liebe, die über uns selbst hinausgeht.
Junge Menschen sollten verstehen, dass Familie nicht einfach eine gesellschaftliche Konvention ist, sondern ein göttlicher Ruf. Es gibt keinen perfekten Moment, um Kinder zu bekommen. Es gibt keinen idealen Zeitpunkt, um Vater oder Mutter zu werden. Doch es gibt die Verheißung, dass Gott uns in dieser Aufgabe begleiten wird.
Wenn wir auf Gottes Zusage vertrauen, dann sehen wir, dass Familie ein Raum des Wachstums ist. Mehr Familie zu wagen heißt, mehr Leben zu wagen, mehr Liebe und mehr Hoffnung zu wagen, in der Gewissheit, dass Gott jeden trägt, der sich ihm anvertraut.
Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Gemeindepfarrer