Renommierter Historiker Prof. Dr. Richard Hovhannisian verstorben

Der herausragende Historiker und Gelehrter wird der Welt fehlen…

Mit tiefem Bedauern verkünden wir den Abgang des einflussreichen Historikers Prof. Dr. Richard Hovannisian. Der hochangesehene Experte auf dem Gebiet der Armenischen Studien verstarb im Alter von 90 Jahren in Los Angeles. Seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Untersuchungen haben das Fachgebiet nachhaltig geprägt und werden auf lange Sicht unvergessen bleiben.

Dr. Hovannisian hat sein Leben der Erforschung der armenischen Geschichte gewidmet und eine entscheidende Rolle bei der Anerkennung des Armenischen Völkermords als prägendes Ereignis des 20. Jahrhunderts gespielt. Seine Forschung und Veröffentlichungen haben nicht nur den Platz der Ersten Republik Armenien in der armenischen Geschichte gefestigt, sondern auch zahlreiche Gelehrte inspiriert.

Professor Hovannisians enge Verbindung zu seinen Schülern und seiner Gemeinschaft war ein weiteres bemerkenswertes Merkmal seines Lebens. Als Professor prägte er über mehrere Generationen hinweg die Vorstellungen und das Verständnis armenischer Identität. Gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin, Dr. Vartiter Kotcholosian Hovannisian, war er eine unermüdliche Stütze in der armenisch-amerikanischen Gemeinschaft in Südkalifornien, aber auch auf der ganzen Welt.

Die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg hatte das Privileg, Dr. Hovannisian vor einigen Jahren als Gastredner begrüßen zu dürfen. Seine eindrucksvolle Präsenz und mitreißende Vortragsweise berührten die Zuhörer zutiefst und vermittelten neue Erkenntnisse über die Geschichte Armeniens. Erst im April dieses Jahres präsentierte seine Tochter Ani Hovhannisian ihren Film „The Hidden Map“ in unserer Gemeinde, was ein weiterer Anlass war, die Verbindung zu Prof. Dr. Richard Hovannisian zu erneuern.

Hovannisian wurde als Sohn von Überlebenden des Völkermords geboren. Sein Vater, Kaspar Gavroian, kam 1901 im Dorf Bazmashen in der Nähe von Kharpert zur Welt. Im Gegensatz zu vielen anderen überlebte er den Völkermord und wanderte in die USA aus. Dort änderte er seinen Nachnamen von Gavroian in Hovannisian, in Anlehnung an seinen Vater Hovannes. 1928 heiratete Kaspar Sirun Nalbandian, ebenfalls ein Kind von Überlebenden des Völkermords. Das Paar hatte vier Söhne: John, Ralph, Richard und Vernon. Richard wurde am 9. November 1932 in Tulare, Kalifornien, geboren. Seine Familiengeschichte als Kind von Völkermordüberlebenden spielte eine wichtige Rolle in seiner akademischen Laufbahn. 1957 heiratete er Dr. Vartiter Kotcholosian in Fresno. Gemeinsam bekommen sie vier Kinder: Raffi, Armen, Ani und Garo. Raffi sollte später der erste Außenminister der heutigen Republik Armenien werden.

Hovannisian begann seine akademische Laufbahn 1954 mit einem Bachelor-Abschluss in Geschichte und erlangte anschließend einen Master-Abschluss in Geschichte an der University of California, Berkley. Im Jahr 1966 promovierte er an der University of California, Los Angeles (UCLA) und seine Dissertation wurde 1967 unter dem Titel „Armenien auf dem Weg zur Unabhängigkeit“ veröffentlicht. Dieses Werk legte den Grundstein für sein späteres vierbändiges Meisterwerk „Die Republik Armenien“. Hovannisian spielte eine entscheidende Rolle bei der Einführung des Unterrichts in armenischer Geschichte an der UCLA. 1987 wurde er der erste Inhaber des Lehrstuhls für moderne armenische Geschichte, der von der Armenian Education Foundation an der UCLA eingerichtet wurde. Nach seiner Pensionierung wurde dieser Lehrstuhl zu Ehren von Richard Hovannisian in Richard Hovannisian Stiftungslehrstuhl für moderne armenische Geschichte umbenannt und Prof. Sebouh Aslanian war der erste Lehrstuhlinhaber.

Hovannisian erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Verdienste im akademischen Bereich und sein gesellschaftliches Engagement, darunter ein Guggenheim-Stipendium. Er war Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Bildungseinrichtungen und gehörte der Armenischen Nationalen Akademie der Wissenschaften an. Nach der Fertigstellung seines umfangreichen Werkes „Die Republik Armenien“ widmete er sich dem Kampf gegen die Leugnung des Völkermords an den Armeniern, der Erforschung der Geschichte armenischer Städte und Dörfer im Osmanischen Reich und der Erstellung von Lehrbüchern zur modernen armenischen Geschichte. Obwohl er kein Experte für den Völkermord war, trug er maßgeblich zur Entwicklung dieses Fachgebiets bei. Er veröffentlichte mehrere Bände zu verschiedenen Aspekten des Völkermords an den Armeniern, darunter historische, literarische und künstlerische Perspektiven. Hovannisian leitete außerdem ein bedeutendes Projekt zur Aufzeichnung von Zeugnissen von Überlebenden des Völkermords an den Armeniern.

In den 1970er Jahren startete er das Oral History-Projekt zum Völkermord an den Armeniern, bei dem er und seine Studenten über 1.000 Überlebende in Kalifornien interviewten. Im Jahr 2018 spendete Hovannisian die gesammelten Berichte der USC Shoah Foundation, um sie der weltweiten Forschung zugänglich zu machen. Er war federführend bei der Herausgabe von 15 Bänden der UCLA Armenian History & Culture Series und veröffentlichte weitere bedeutende Werke, darunter „The Armenians of Persia/Iran“. Hovannisian war nicht nur ein herausragender Gelehrter, sondern auch ein Mentor, der Generationen von Wissenschaftlern und Tausende von Studenten betreute und ausbildete.

Seine Frau Vartiter und Simon Vratsian, der letzte Premierminister der Ersten Republik Armenien, hatten einen großen Einfluss auf sein Leben. Vartiter war über 50 Jahre lang seine Lebenspartnerin und spielte eine entscheidende Rolle bei seiner Karriere und seinen Beiträgen zur Armenistik. Vratsian war sein Mentor während seiner Zeit als Student und führte Hovannisian in die Geschichte der Ersten Republik Armenien ein.

1974 gründeten Hovannisian und andere namhafte Wissenschaftler die Society for Armenian Studies (SAS), um die Armenistik als akademische Disziplin weiterzuentwickeln. Unter Hovannisians Präsidentschaft erlangte die Gesellschaft große Erfolge und trug maßgeblich zur Entwicklung der Armenistik in Nordamerika bei.

Im Jahr 2019 wurde Hovannisian von der Society for Armenian Studies mit dem SAS Lifetime Achievement Award ausgezeichnet, um seine herausragenden Leistungen und Beiträge auf dem Gebiet der Armenischen Studien zu würdigen.

AGBW