Gedenkveranstaltung zum 110. Jahrestag
des Genozids an den Armeniern

Mit tiefem Ernst, bewegender Musik und Reflexion wurde am 24. April 2025 in Stuttgart der 110. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern begangen. Die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg e.V. (AGBW) hatte zu einer Gedenkveranstaltung geladen, die nicht nur ein historisches Kapitel würdigte, sondern ein eindringliches Zeichen für Erinnerung, Wahrheit und kulturelle Selbstbehauptung setzte – in einer Zeit, in der historische Begriffe politisch zunehmend instrumentalisiert werden.

Den Auftakt bildete eine feierliche Kranzniederlegung am armenischen Kreuzstein auf dem Friedhof Steinhaldenfeld. Unter den Teilnehmenden waren der Vizepräsident des Landtags von Baden-Württemberg Daniel Born, Oberkirchenrat a.D. Prof. Dr. Ulrich Heckel, Vertreterinnen und Vertreter der Platform gegen Genozide Stuttgart, zahlreiche Mitglieder der armenischen Gemeinde sowie viele Freundinnen und Freunde Armeniens. Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan würdigte in seiner Ansprache am Denkmal die Heiligen Märtyrer des armenischen Volkes. Der Schweigemarsch zum Kreuzstein war ein stiller Appell an unsere Gegenwart: gegen das Vergessen und gegen die Leugnung von Unrecht.

Ein würdiger Rahmen – und eine kraftvolle Botschaft

Um exakt 19:15 Uhr – symbolisch für das Jahr 1915 – begann in der Lutherkirche Bad Cannstatt die zentrale Gedenkveranstaltung. Kristina Bagratuni, Vorsitzende der AGBW, eröffnete mit klaren Worten: „Wir erinnern nicht, weil wir im Schmerz verharren, sondern weil wir verhindern wollen, dass sich Geschichte wiederholt.“ Ihr Gruß wurde gefolgt von einem Fürbittgebet von Pfarrer Sardaryan und einem geistlichen Wort von Prälat Markus Schoch von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Der Höhepunkt der geistigen Reflexion war die Gedenkrede von Prof. Dr. Kristin Platt, Genozidforschungsexpertin der Ruhr-Universität Bochum. In ihrer eindrucksvollen Ansprache spannte sie den Bogen von der historisch-politischen Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern bis zur heutigen Krise der Erinnerungskultur. Mit Blick auf aktuelle Tendenzen in Armenien selbst – insbesondere die Relativierung des Genozids durch Teile der politischen Führung – mahnte sie zur intellektuellen und moralischen Wachsamkeit. Platt warnte vor der gefährlichen Entgrenzung des Begriffs „Genozid“. Ihre Ausführungen machten deutlich: Erinnerung ist nicht museale Pflicht, sondern Zukunftsarbeit – im Namen derer, die keine Stimme mehr haben.

Musik als Gedächtnis der Seele

Im anschließenden Konzertteil, meisterhaft interpretiert vom Komitas Chamber Orchestra Gyumri, verschmolzen Gedenken und Kunst zu einem klanglichen Gebet. Unter der künstlerischen Leitung von Aram Badalian entfalteten sich Werke von Komitas, Babajanyan, Mirzoyan, Elgar, Britten und anderen zu einer musikalischen Erzählung über Schmerz, Verlust – und Überleben.

Dass das 2019 gegründete Ensemble aus der armenischen Stadt Gyumri – einer der strukturell benachteiligten Regionen Armeniens – eingeladen wurde, war eine bewusste Entscheidung. „Wir wollten nicht nur erinnern, sondern auch ermutigen“, so Kristina Bagratuni. Das Orchester, bestehend aus Dozenten und jungen Talenten des Komitas-Konservatoriums, bewies eindrucksvoll, dass auch eine junge Generation die spirituelle Tiefe der armenischen Musikkultur mit höchster Sensibilität und künstlerischer Reife vermitteln kann.

Besonders hervorzuheben ist die Solistenleistung von Merujan Gevorgyan (Violine), dessen Interpretation von Komitas‘ „Krounk“ und Baghdasaryans „Nocturne“ nicht nur technisch brillant, sondern emotional tief bewegend war. Das Zusammenspiel mit Cellist Vace Bagratuni vom Stuttgarter Staatsorchester war ein Höhepunkt des Abends – ein Dialog zwischen Diaspora und Heimat, zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Für ein junges Ensemble war dies nicht nur ein künstlerischer Triumph, sondern ein Zeichen der Hoffnung. „Unsere Musik ist unser Überleben“, so Badalian nach dem Konzert. In einer Welt, in der Kultur oft marginalisiert wird, wurde hier sichtbar, dass Musik Erinnerung trägt – und weiterträgt.

Ein Fazit – und ein Appell

Die Gedenkveranstaltung der AGBW war mehr als ein ritueller Akt. Sie war eine vielstimmige Antwort auf die Leugnung, die Relativierung und das Vergessen. In einer Zeit, in der die Sprache selbst zur Kampfzone wird, war dieser Abend ein stiller Triumph der Wahrheit, der Würde und der kulturellen Selbstbehauptung.

Gerade in Deutschland, wo sich Erinnerungskultur zu einem ethischen Fundament entwickelt hat, ist es schmerzlich, dass der 24. April in vielen regionalen Medien kaum Beachtung findet. Das Schweigen wirkt wie eine zweite Auslöschung. Es ist Zeit, dass dieser Gedenktag auch hier den Platz erhält, den er verdient.

Denn der Völkermord an den Armeniern ist nicht nur Teil der armenischen Geschichte. Er ist Teil der Menschheitsgeschichte. Und nur wer hinschaut, kann verhindern, dass sich das Unvorstellbare wiederholt.

AGBW

Հիշողության ու հույսի երեկո
Հայոց Ցեղասպանության 110-ամյակը Շտուտգարտում

2025 թ. ապրիլի 24-ին, Շտուտգարտում, Բադեն-Վյուրթեմբերգի Հայ Համայնքի նախաձեռնությամբ կայացավ Հայոց ցեղասպանության 110-ամյա տարելիցին նվիրված հիշատակի միջոցառում։ Սա ընդամենը պատմության հիշեցում չէր, այլ հզոր կոչ՝ ընդդեմ մոռացության, ստի և արդի ժամանակներում պատմության քաղաքական շահագործման։
Միջոցառումը մեկնարկեց ժ. 17:00-ին՝ Շտայնհալդենֆելդ գերեզմանատան հայկական խաչքարի մոտ ծաղկեպսակի զետեղումով։ Մասնակիցների թվում էին Բադեն-Վյուրթեմբերգի Լանդթագի փոխնախագահ Դանիել Բորնը, Գերմանիայի Ավետարանական եկեղեցու ներկայացուցիչ պրոֆ. Ուլրիխ Հեկելը, «Ցեղասպանությունների դեմ հարթակի» անդամներ, ինչպես նաև մեծաթիվ հայեր ու բարեկամներ։ Հոգևոր արարողությունն ու լուռ երթը խորհրդանշեցին հարգանքի, աղոթքի ու միասնության ուժը՝ ի հիշատակ մեր սրբադասված նահատակների։

Արժանապատիվ մթնոլորտ՝
հզոր պատգամով

Ժամչ 19:15-ին Լյութեր-Եկեղեցում սկսվեց հիմնական հիշատակի միջոցառումը։ Բացման խոսքով հանդես եկավ Բադեն-Վյուրթեմբերգի Հայ Համայնքի ատենապետուհի Քրիստինա Բագրատունին՝ շեշտելով. «Մենք հիշում ենք ոչ թե ցավի մեջ մնալու, այլ արդարության համար պայքարելու և նման ողբերգությունների կրկնությունից խուսափելու համար»։
Հոգևոր աղոթք բարձրացրեց համայնքի հոգևոր հովիվ Տեր Տիրատուր քհն. Սարդարյանը, որին հաջորդեց Բադեն-Վյուրթեմբերգի Ավետարանական Եկեղեցու ներկայացուցչի՝ պրեալատ Մարկուս Շոխի ողջույնի խոսքը։
Հուշազրույցով հանդես եկավ Բոխումի Ռուհր Համալսարանի ցեղասպանագետ, պրոֆ. դոկտոր Քրիստին Պլատտը։ Իր սուր և արդիական վերլուծության մեջ նա անդրադարձավ ինչպես Հայոց Ցեղասպանության պատմական նշանակությանը, այնպես էլ ներկայիս Հայաստանի մեջ մոռացության, ժխտման և քաղաքական շահարկման փորձերին։ Նրա ելույթը միաժամանակ պատմական էր և խորը մարդկային: Այն հիշեցում էր, որ հիշողությունը միակ ճշմարիտ պատասխանն է մոռացության մշակույթին և որ պատմությունը ոչ թե պատմության դասագրքերի համար է, այլ ապագան ճիշտ կերտելու:

Երաժշտությունը որպես հոգու հիշողություն

Միջոցառման գագաթնակետը դարձավ Երևանի Կոմիտասի անվան պետական կոնսերվատորիայի Գյումրու մասնաճյուղի կամերային նվագախումբի բացառիկ համերգը՝ գեղարվեստական ղեկավար Արամ Բադալյանի գլխավորությամբ։ Հնչեցին Կոմիտասի, Ղ.Սարյանի, Է.Բաղդասարյանի ստեղծագործությունները։ Երաժշտությունը դարձավ աղոթք՝ տառապանքի, հիշողության և հաղթահարման մասին։
Արտակարգ հույզեր փոխանցեց ջութակահար Մերուժան Գևորգյանի մենակատարությունը՝ մասնավորապես Կոմիտասի «Կռունկ»-ի կատարման ժամանակ։ Հատուկ նշվեց նաև ջութակահարի համագործակցությունը Շտուտգարտի Պետական նվագախմբի թավջութակահար Վաչե Բագրատունու հետ, ինչը հանդիսատեսի կողմից ընդունվեց հիացմունքով։
Գյումրուց ժամանած երիտասարդ նվագախումբը, որը կազմված է Կոմիտասի անվան կոնսերվատորիայի Գյումրու մասնաճյուղի պրոֆեսորներից և ուսանողներից, ոչ միայն փայլուն երաժշտություն մատուցեց, այլև նոր հույս բերեց՝ ինչպես իրենց, այնպես էլ ամբողջ համայնքին։ Գյումրին՝ պատմական Շիրակը, Հայաստանի ամենամոռացված շրջաններից է։ Այս ելույթը Գերմանիայում դարձավ ոգեշնչման ու հավատքի նշան՝ մշակույթը որպես հիշողության կրող վերահաստատելով։
ԲՎՀՀ

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gemeindemitglieder, geschätzte Gäste,

im Namen der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg e.V. heiße ich Sie herzlich willkommen zu unserer Gedenkveranstaltung anlässlich des 110. Jahrestages des Völkermords an den Armeniern. Heute Abend versammeln wir uns in der Lutherkirche Bad Cannstatt, um der 1,5 Millionen Opfer zu gedenken, die ab 1915 im Osmanischen Reich durch systematische Deportationen, Massaker und Todesmärsche ihr Leben verloren. Dieser Tag ist ein Tag der Trauer, aber auch ein Tag der Stärke, der Erinnerung und des Engagements für Gerechtigkeit.

Unsere Veranstaltung begann heute Nachmittag mit einer Kranzniederlegung am armenischen Gedenk-Kreuzstein auf dem Friedhof Steinhaldenfeld, wo wir in einem Schweigemarsch die Märtyrer ehrten, die für ihren Glauben und ihre Identität starben. Hier in der Lutherkirche setzen wir dieses Gedenken fort, verbunden durch die Kraft der Worte und die Schönheit der Musik. Wir freuen uns, das Komitas Chamber Orchestra aus Gyumri, Armenien, unter der künstlerischen Leitung von Aram Badalian zu begrüßen. Dieses Ensemble, gegründet 2019, vereint Dozenten und talentierte Studenten des Komitas-Konservatoriums und widmet sich der Bewahrung der armenischen Musik – einer Musik, die unsere Seele widerspiegelt und unsere Widerstandskraft feiert. Durch ihre Klänge werden wir heute Abend die unzerstörbare Kultur unseres Volkes erleben, die selbst der Genozid nicht auslöschen konnte.

Wir sind dankbar für die Anwesenheit von Prof. Dr. Kristin Platt von der Ruhr-Universität Bochum, die in ihrer Gedenkrede die historische Bedeutung des Völkermords beleuchten wird. Ebenso danken wir Pfr. Dr. Diradur Sardaryan für sein Fürbittgebet und Prälat Markus Schoch von der Evangelischen Landeskirche Württemberg für sein Grußwort. Ihre Teilnahme zeigt, dass die Erinnerung an den Völkermord nicht nur eine armenische, sondern eine universelle Verpflichtung ist.

Der 110. Jahrestag des Völkermords fällt in eine Zeit, in der unsere Gemeinde vor neuen Herausforderungen steht – sowohl hier in Baden-Württemberg als auch international. In Deutschland fordern wir die konsequente Umsetzung der Bundestagsresolution von 2016, die den Völkermord anerkannt hat, und ein stärkeres Engagement der Ministerien gegen die weiterhin bestehende Armenophobie. Besonders besorgniserregend sind die jüngsten anonymen Drohanrufe gegen armenische Mitbürgerinnen und Mitbürger, mutmaßlich von Personen mit türkischem oder aserbaidschanischem Hintergrund, die gezielt die Herkunft der Betroffenen angreifen. Diese Vorfälle sind keine Einzelfälle und bedrohen die Sicherheit unserer Gemeinde. Wir rufen die Behörden auf, diese Taten entschieden zu verfolgen und unsere Gemeinschaft zu schützen.

Auf internationaler Ebene blicken wir mit Sorge auf Armenien, wo die jüngsten Äußerungen der Regierung die Bemühungen um die Anerkennung des Völkermords gefährden. Als Diaspora-Armenier senden wir eine klare Botschaft: Unabhängig von politischen Kompromissen in Jerewan bleiben wir die Stimme der Opfer. Wir fordern die Anerkennung des Genozids, Reparationen und die Rückgabe geraubten Eigentums – nicht aus Rache, sondern aus dem Streben nach Gerechtigkeit und der Verpflichtung, zukünftige Völkermorde zu verhindern. Die jüngsten Ereignisse in Arzach, wo unsere Brüder und Schwestern erneut Vertreibung und Gewalt erlitten haben, unterstreichen die Dringlichkeit unseres Engagements.

Liebe Gäste, dieser Abend verbindet Musik und Erinnerung, um die Widerstandskraft der armenischen Kultur zu feiern und die Opfer des Völkermords zu ehren. Lassen Sie uns gemeinsam die Wahrheit bewahren, für Gerechtigkeit kämpfen und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nähren. Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme und lade Sie ein, diesen Moment der Besinnung und des Zusammenhalts mit uns zu teilen.

Vielen Dank.
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Gedenkveranstaltung zum 110. Jahrestag
des Völkermords an den Armeniern
Lutherkirche Bad Cannstatt, 24. April 2025

Kristina Bagratuni, Vorsitzender der AGBW

Liebe Schwestern und Brüder,
verehrte Gäste,

vier Tage liegen seit Ostern, dem Fest der Auferstehung, hinter uns. Ostern verkündet: Golgatha ist nicht das letzte Wort, das Kreuz endet nicht im Tod, sondern mündet in neues Leben. Heute, am 24. April, stellen wir diese Botschaft der Hoffnung mitten in die Erinnerung an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte.

Vor 110 Jahren, in der Nacht vom 23. auf den 24. April 1915, begann im Osmanischen Reich ein Verbrechen, das die moderne Welt bis in die Gegenwart erschüttert: Über 200 armenische Geistliche, Dichter, Lehrer, Ärztinnen und Abgeordnete wurden aus Istanbul verschleppt – Auftakt zu Massakern, Todesmärschen und Deportationen, denen 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier zum Opfer fielen. Tessa Hofmann beschreibt dieses Trauma als „Schmerzhaftes Gedenken“, das sich bis heute durch jede armenische Familie zieht.

Doch das Böse endet nicht mit dem letzten Schuss. Es setzt sich fort, wo Verantwortung geleugnet wird. Die Türkei verweigert bis heute die Anerkennung, und neuerdings hören wir, wie selbst in Jerewan Stimmen ertönen, die das Geschehen relativieren. Das Lemkin Institute hat im Mai 2024 scharf davor gewarnt: Wenn ein armenischer Premierminister die Ursachen des Völkermords in „mangelnder politischer Klugheit“ unseres Volkes sucht, dann wird das Opfer zum Mitschuldigen erklärt – und die Täter werden entlastet. Solche Worte gefährden mühsam errungene Anerkennung und öffnen Türen für neue Gewalt.

I. Das Kreuz und die Wahrheit

Der Völkermord war – theologisch gesprochen – ein Versuch, das Ebenbild Gottes im Armenier auszulöschen. Doch wie Christus seine Würde am Kreuz nicht verlor, so blieb auch unseren Märtyrerinnen und Märtyrern ihre Gotteskindschaft erhalten. „Niemand hat größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15,13). Ihr Sterben ist für uns kein Zeichen der Vernichtung, sondern ein Same der Auferstehung – ein Ruf, den Kreislauf von Hass und Rache zu durchbrechen, ohne die Wahrheit zu verschweigen. Denn ohne Wahrheit keine Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit kein Frieden.

II. Verantwortung in Baden-Württemberg

Auch hier, mitten in Deutschland, ist die Geschichte nicht abgeschlossen. Die Bundestagsresolution von 2016 anerkennt den Genozid, doch Umsetzung braucht Tatkraft. Seit Wochen melden Gemeindemitglieder anonyme Drohanrufe – mutmaßlich aus nationalistisch-türkischem oder aserbaidschanischem Umfeld. Das sind gezielte Angriffe auf Menschen wegen ihrer armenischen Herkunft. Ich appelliere an Landesregierung, Polizei und Zivilgesellschaft: Schützen Sie unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, verfolgen Sie Hasskriminalität konsequent! Eine Demokratie, die wegschaut, wird mitschuldig.

Unsere Forderung wurzelt nicht in nationaler Empfindlichkeit, sondern in christlicher Ethik. Dietrich Bonhoeffer erinnerte daran, dass die Kirche nicht nur die Wunden der Opfer verbinden darf, sie muss dem Rad selbst in die Speichen fallen. Wir erwarten, dass sich die Ministerien für Bildung, Kultur und Inneres energisch gegen Armenophobie stellen, Lernmaterialien bereitstellen und Gedenkarbeit fördern.

III. Die Stimme der Diaspora

International sehen wir ein beunruhigendes Bild. Nach der ethnischen Säuberung von Arzach im Herbst 2023 haben Hunderttausende ihre Heimat verloren. Aserbaidschans Präsident fordert offen Verfassungsänderungen in Armenien; Beobachtermissionen der EU werden diffamiert. Gleichzeitig bagatellisieren Regierungsvertreter in Jerewan die historischen Verbrechen, als würde Versöhnung ohne Wahrheit gelingen.

Hier erhebt die Diaspora ihre Stimme: Wir werden weiter Anerkennung, Rückgabe geraubten Eigentums und Reparationen fordern – nicht aus Rache, sondern weil nur Gerechtigkeit die Wiederholung von Völkermord verhindert. Henry Kissinger mahnte einst, dass Frieden ohne gerechte Ordnung stets brüchig bleibt – und Angela Merkel betonte, dass Erinnerung „ein moralischer Imperativ“ sei. Das gilt heute nicht weniger als gestern.

IV. Auftrag an die Gemeinde

Unsere erste Verantwortung aber liegt hier, in dieser Kirche. In Baden-Württemberg begegnen sich Armenierinnen und Armenier aus Armenien, Syrien, der Türkei, dem Iran, Russland, der Ukraine und vielen anderen Ländern. Jede Familie bringt ihre eigenen Wunden und Schätze mit. Das ist ein Reichtum – und manchmal eine Reibung. Wenn wir uns gegenseitig in Schubladen stecken – „West-Armenier“, „Ost-Armenier“, „Diaspora“, „Republik“ – dann vollenden wir das Werk jener, die uns spalten wollten.

Darum gilt das biblische Wort aus 2. Mose 10,2: „Erzähl es deinen Kindern…“ Bringt eure Kinder in die armenische Schule, in den Gottesdienst, in die Jugendgruppe! Lasst sie Geschichte, Sprache und Glauben erlernen, damit sie zu Brückenbauern werden. Erzählt ihnen nicht nur von der Wunde, sondern auch von der Würde, nicht nur von Golgatha, sondern auch von Ostern.

V. Hoffnung, die wirkt

Liebe Gemeinde, Gedenken darf nicht in Trauer erstarren. Ostern ruft uns in die Bewegung der Hoffnung. Der leere Grabstein ist Gottes Protest gegen jeden Schlussstrich und jede Lüge. Unsere Märtyrer mahnen uns, die Wahrheit zu sprechen; Christus mahnt uns, den Hass nicht mit Hass zu beantworten.

Ich schließe mit drei Bitten:

  1. An die Politik: Verwirklichen Sie die Resolutionen, schützen Sie unsere MitbürgerInnen, stellen Sie sich klar gegen Armenophobie!

  2. An die internationale Gemeinschaft: Erzwingen Sie Verantwortung der Täter – denn ohne Gerechtigkeit bleibt Frieden Illusion.

  3. An uns alle: Pflegen wir Einheit in der Vielfalt, erzählen wir unseren Kindern die Wahrheit und leben wir aus der Hoffnung der Auferstehung.

Doch diese Hoffnung entbindet die Politik nicht von ihrer Verantwortung. Im Gegenteil: Sie fordert sie heraus, der prophetischen Dimension der Gerechtigkeit gerecht zu werden. Dietrich Bonhoeffer formulierte es so: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden.“

So wagen auch wir heute, den Frieden zu fordern – aber einen Frieden, der auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruht, nicht auf dem Verschweigen von Verbrechen. Einen Frieden, der die Würde der Opfer achtet und die Verantwortung der Täter einfordert. Einen Frieden, wie ihn der Prophet Jesaja beschreibt: „Das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein“ (Jes 32,17).

In diesem Sinne reichen wir der Politik die Hand – nicht zur schweigenden Komplizenschaft, sondern zur mutigen Zusammenarbeit im Dienst der Wahrheit und der Versöhnung. Möge Gott uns allen die Kraft geben, den unbequemen, aber notwendigen Weg der Gerechtigkeit zu gehen. Amen.

Pfr. Dr. Diradur Sardaryan, Gemeindepfarrer der AGBW

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