Hl. Hovhan von Odzun
Odzun – Ein Zentrum armenischer Geschichte und Spiritualität
Odzun, eines der größten und ältesten Dörfer Armeniens, ist ein Ort von tiefgreifender historischer Bedeutung. Sein Name wird auf zwei mögliche Ursprünge zurückgeführt: Entweder leitet er sich vom armenischen Wort „otsel“ (salben) ab – eine Anspielung darauf, dass der Apostel Thomas hier im 1. Jahrhundert Geistliche salbte – oder vom Wort „odz“ (Schlange), da die Gegend einst für ihre Schlangenpopulation bekannt war. Historische Quellen, darunter die sowjetarmenische Enzyklopädie, verzeichnen Varianten wie Otsun, Ozun oder Udzun, die die reiche Vergangenheit des Ortes widerspiegeln.
Das Herzstück von Odzun ist das Surb Astuatsatsin Kloster, eine dreischiffige Basilika, die zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert errichtet und im 8. Jahrhundert vom Hl. Hovhan von Odzun restauriert wurde. Gefertigt aus lokalem felsitischem Gestein, birgt der Altar der Legende nach ein Fragment des Heiligen Kreuzes Christi. Die Klostermauern zieren einzigartige Reliefs, darunter Darstellungen der Wiederkunft Christi sowie der Erzengel Michael und Gabriel, die Zeugnis von der künstlerischen und spirituellen Blüte dieser Epoche ablegen. Diese kunstvollen Arbeiten spiegeln die hohe handwerkliche Fertigkeit und den tiefen Glauben wider, die Odzun in jener Zeit auszeichneten.
Nur wenige Schritte entfernt erhebt sich das Odzun-Denkmal, eine monumentale Grabstele aus dem 5. Jahrhundert. Oft als „Buch aus Stein“ bezeichnet, erzählt sie in bildhafter Form die christliche Geschichte Armeniens und wird mit dem Grab von König Smbat I. Bagratuni in Verbindung gebracht. Diese Stätte ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch ein Symbol für die tiefe Verwurzelung des Christentums in der Region, die durch das Wirken des Hl. Hovhan weiter gefestigt wurde.

Ardvi – Ein spiritueller Rückzugsort
Hoch über der Debed-Schlucht thront das Dorf Ardvi, umgeben von den majestätischen Bergen Shekaghbyur, Totkadjur und Tsnkoyaglukh. Historisch unter Namen wie Ardu, Artvi oder Melikgyugh bekannt, wurde es zum letzten Zufluchtsort des Hl. Hovhan von Odzun, der hier seine Jahre als Einsiedler verbrachte. Das Surb Hovhannes Kloster, erbaut zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert, ist eine der bedeutendsten Pilgerstätten Armeniens und beherbergt die mutmaßliche Grabstätte des Heiligen. Der angrenzende Friedhof ist gespickt mit kunstvollen Khachkaren (Kreuzsteinen) und Grabmalen, deren Motive und Farben die reiche Tradition armenischer Steinmetzkunst widerspiegeln. Diese Stätte strahlt eine besondere spirituelle Ruhe aus und zieht Pilger an, die Hovhans Andenken ehren.
Eine der faszinierendsten Legenden Ardvis ist die Geschichte des „Nabels der Schlange“, eines Naturdenkmals mit mystischer Aura. Der Überlieferung zufolge überfielen Drachen das Dorf, während der Hl. Hovhan eine Liturgie abhielt. Mit einem machtvollen Kreuzzeichen und einem Schlag seines Bischofsstabs verwandelte er die Bestien in Stein, und an dieser Stelle entspringt seither eine Quelle, deren Wasser heilende Kräfte zugeschrieben werden. Diese Erzählung unterstreicht die spirituelle Macht, die dem Heiligen nachgesagt wird, und verleiht Ardvi einen besonderen Platz im armenischen Glaubensleben.

Der Hl. Hovhan von Odzun –
Ein Leben im Dienst von Glaube und Gerechtigkeit
Der Hl. Hovhan von Odzun, auch als Hovhan Imastaser („der Weise“) bekannt, war eine titanenhafte Gestalt der armenischen Kirchengeschichte. Als 34. Katholikos von Armenien (717–728) wirkte er in einer Zeit politischer und religiöser Turbulenzen und prägte das geistige, kulturelle und rechtliche Erbe seines Volkes nachhaltig.
Frühe Jahre und Bildung
Wirken als Katholikos
Als Hovhan 717 zum Katholikos gewählt wurde, stand Armenien unter arabischer Herrschaft. Mit diplomatischem Geschick verhandelte er mit muslimischen Herrschern und sicherte den Armeniern die Freiheit, ihren Glauben zu leben. Besonders eindrucksvoll ist seine Begegnung mit Kalif Omar II. in Damaskus vor 720: In prächtigen Gewändern mit goldenem Stab erschienen, gewann er den Respekt des Kalifen durch seine majestätische Präsenz und Weisheit. Als Omar seine Pracht hinterfragte, enthüllte Hovhan seine asketische Kleidung aus Ziegenhaar und erklärte, dass äußere Zeichen der Autorität in einer Zeit ohne Wunderkraft nötig seien. Beeindruckt erließ der Kalif ein Edikt, das Christen vor Zwang zum Glaubensabfall schützte, Kirchen sicherte und Glaubensfreiheit gewährte.
Doch seine Arbeit beschränkte sich nicht auf Diplomatie. Mit dem „Kanonagirk Hayots“ (Buch der armenischen Kirchenkanones) schuf er die erste systematische Sammlung kirchlicher Gesetze, die das mittelalterliche armenische Rechtssystem begründete. Er bekämpfte Korruption, setzte sich für die Armen ein und förderte die Ausbildung von Priestern, um die Kirche zu stärken. Historiker wie Asoghik und Kiriakos von Gandzak beschreiben ihn als stattlich, schön und asketisch, was seine charismatische Führungsstärke unterstreicht.
Theologische Werke und spirituelles Erbe
Der Hl. Hovhan von Odzun war nicht nur ein kirchlicher Reformer und Diplomat, sondern auch ein herausragender Theologe, Dichter und Hymnenschreiber, dessen Werke das geistliche Leben Armeniens nachhaltig prägten. Seine Schriften und Kompositionen zeichnen sich durch theologische Tiefe, sprachliche Eleganz und eine klare Verteidigung des orthodoxen Glaubens aus.
Zu seinen bedeutendsten theologischen Arbeiten zählt die „Atēnabanutiun“ (Synodalrede), mit der er die bis dato uneinheitlichen Praktiken der armenischen Liturgie ordnete und vereinheitlichte. Dieses Werk legte den Grundstein für eine standardisierte Gottesdienstordnung und stärkte die Einheit der Kirche in einer Zeit äußerer Herausforderungen. Ebenso wichtig sind seine polemischen Schriften: Die „Čaṙ ənddēm pawłikeanc“ (Rede gegen die Paulikianer) widerlegte die Ansichten der Paulikianer, einer häretischen Bewegung, die Sakramente und kirchliche Hierarchie ablehnte, während die „Čaṙ ənddēm erewutakanc“ (Rede gegen die Phantasiasten) die Doktrinen der Phantasiasten bekämpfte, die die wahre Menschlichkeit Christi leugneten. In diesen Schriften zeigt sich seine Fähigkeit, komplexe theologische Fragen klar und überzeugend darzulegen, sowie sein Engagement für die Reinheit des Glaubens.
Neben diesen Hauptschriften verfasste Hovhan weitere Werke, die die kirchliche Ordnung und Liturgie festigten, darunter „Hałags kargac‘ ekełecwoy“ (Über die kirchlichen Ordnungen)“ und „Saks gišerayin žamu“ (Über die nächtlichen Gebetszeiten)“. Diese Texte dienten der Disziplinierung des Klerus und der Vertiefung des liturgischen Lebens. Sein umfassendes Wissen über die Heilige Schrift und die patristische Tradition spiegelt sich in seinen exegetischen Arbeiten wider, wie etwa „Vasn mec’i awur miašabt’in“ (Über den Großen Woche)“, das die Bedeutung der Karwoche beleuchtet.
Als Hymnendichter hinterließ Hovhan ein reiches Erbe an Šarakanner (geistliche Hymnen), die bis heute in der armenischen Liturgie gesungen werden. Zu seinen bekanntesten Werken gehören der Kanon für den Propheten David und den Apostel Jakobus, der Kanon für Stephanus den Proto-Martyrer, der Kanon für die Apostel Petrus und Paulus sowie der Kanon für die Söhne des Zebedäus. Diese Hymnen, darunter Meisterwerke wie „Hałt’ogh gtav“ (Lobpreis) oder „C’nc’ay aysōr ekełec’i“ (Freue dich heute, Kirche), vereinen theologische Reflexionen über die Dreifaltigkeit, die Erlösung und die Rolle der Heiligen mit poetischer Schönheit. Besonders hervorzuheben ist die berühmte Hymne „ənd yerknaïn“ („Zu dem Göttlichen“), die als eines der höchsten Beispiele armenischer Kirchenmusik gilt.
Durch seine Schriften und Hymnen trug Hovhan entscheidend zur Systematisierung der armenischen Liturgie bei und bewahrte die spirituelle Tradition in einer Zeit, in der äußere Einflüsse den Glauben bedrohten. Sein Werk bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil des theologischen und kulturellen Erbes Armeniens.
Legenden und Wunder
Um den Hl. Hovhan von Odzun ranken sich zahlreiche Legenden, die seinen Status als Wundertäter und heilige Gestalt in der armenischen Tradition untermauern. Diese Erzählungen, die sich tief in das Bewusstsein des Volkes eingeprägt haben, zeugen von der außergewöhnlichen Kraft seines Glaubens und seiner spirituellen Autorität.
Eine der bekanntesten Legenden spielt im Dorf Ardvi, wohin sich Hovhan nach seiner Amtszeit zurückgezogen hatte. Es wird berichtet, dass er während einer Liturgie von Drachen bedroht wurde, die das Dorf heimsuchten. Mit einem machtvollen Kreuzzeichen und einem Schlag seines Bischofsstabs bannte er die Kreaturen und verwandelte sie in Stein. An der Stelle, wo er den Stab in den Boden stieß, entsprang eine Quelle, bekannt als der „Nabel der Schlange“. Diesem Wasser werden bis heute heilende Kräfte zugeschrieben, und die Stätte gilt als Pilgerort, der Hovhans Sieg über das Böse und seine Verbindung zur göttlichen Gnade symbolisiert.
Eine weitere bedeutende Überlieferung betrifft seine Begegnung mit einem byzantinischen Gesandten, der als Vasid bekannt ist. Dieser wurde von Kaiser Leo III. nach Armenien entsandt, um die Annäherung der Armenier an die Araber zu hinterfragen. Während seines Aufenthalts erkrankte Vasid schwer, und die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Hovhan heilte ihn durch ein inbrünstiges Gebet und bewirkte eine vorübergehende Genesung. Beeindruckt von diesem Wunder und der Güte des Katholikos, nahm Vasid den Glauben der Armenischen Apostolischen Kirche an und verbrachte fünfzehn Jahre als Einsiedler in Hromklai (Romkale).
Ein drittes Wunder wird in Verbindung mit seiner Reise nach Damaskus überliefert. Als er vor dem Kalifen Omar II. erschien, soll seine majestätische Erscheinung – in prächtigen Gewändern und mit einem goldenen Stab – nicht nur Respekt eingeflößt, sondern auch eine spirituelle Wirkung entfaltet haben. Nachdem er seine äußere Pracht abgelegt und seine asketische Kleidung aus Ziegenhaar enthüllt hatte, erkannte der Kalif seine Tugendhaftigkeit und gewährte ihm weitreichende Zugeständnisse für die armenischen Christen.
Diese Legenden zeichnen Hovhan als einen Heiligen, dessen Glaube im wörtlichen wie im übertragenen Sinne Berge versetzen konnte. Sie spiegeln die tiefe Verehrung wider, die ihm in der armenischen Kirche zuteilwird, und zeigen, wie sein spirituelles Wirken über historische Ereignisse hinaus in der kollektiven Erinnerung weiterlebt.
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Weitere InformationenLetzte Jahre und Vermächtnis
Nach dem Abschluss seiner bedeutenden kirchlichen und diplomatischen Tätigkeiten zog sich der Hl. Hovhan von Odzun in seine letzten Lebensjahre nach Ardvi zurück. Als Einsiedler führte er ein asketisches Leben, begleitet von geistlichen Gefährten wie Gevorg Skantschelagorts und Matthäus Chotatscharak sowie anderen Mönchen. In dieser Zeit der Kontemplation verfasste er vermutlich seine letzten Werke, darunter möglicherweise Gebete und Hymnen, die seine spirituelle Tiefe bewahren sollten. Er starb im Jahr 728, und obwohl der genaue Ort seines Grabes nicht eindeutig überliefert ist, betrachtet das Volk Ardvi als seine Ruhestätte, die bis heute eine Pilgerstätte bleibt. Die Armenische Apostolische Kirche gedenkt seiner am Samstag vor dem vierten Sonntag der Großen Fastenzeit.
Hovhans Einfluss überdauerte seine Lebenszeit bei Weitem. Seine Hymnen erklingen noch heute in armenischen Kirchen weltweit und zeugen von seiner poetischen und theologischen Meisterschaft. Das „Kanonagirk Hayots“, seine Sammlung kirchlicher Gesetze, legte den Grundstein für die kanonische Ordnung der armenischen Kirche und beeinflusste die Rechtsprechung des mittelalterlichen Armeniens. Sein Leben und seine Taten bleiben eine Quelle der Inspiration für Gläubige und Gelehrte, die in ihm einen Hüter des Glaubens und der nationalen Identität erkennen.
Ein Heiliger für die Gegenwart
Der Hl. Hovhan von Odzun erstrahlt als ein Leuchtturm in einer Ära der Prüfungen, ein Mann, der Armenien mit unerschütterlichem Glauben, tiefer Weisheit und einem unermüdlichen Streben nach Gerechtigkeit durch dunkle Zeiten führte. Sein Vermächtnis in der Armenischen Apostolischen Kirche ist ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, dass wahre Größe in der Hingabe an göttliche Wahrheit und die Würde des Menschen begründet liegt. Durch seine diplomatischen Erfolge, wie die Sicherung der Glaubensfreiheit unter arabischer Herrschaft, und seine theologischen Beiträge bewahrte er die Integrität der Kirche in einer Zeit politischer Unsicherheit.
Odzun, sein Geburtsort, und Ardvi, sein letzter Rückzugsort, sind nicht nur geografische Stätten, sondern heilige Orte, die seine Geschichte bewahren. Sie laden ein, die Spuren dieses außergewöhnlichen Heiligen zu erkunden – eines Mannes, der mit seinem Bischofsstab nicht nur Wunder wirkte, sondern auch die geistlichen und kulturellen Fundamente Armeniens festigte. Sein Andenken lebt in den Gebeten, Gesängen und Erinnerungen der Gläubigen weiter und inspiriert Generationen dazu, in seinem Vorbild Stärke und Hoffnung zu finden.