Im Gespräch mit Kristina Bagratuni

Die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg startet mit „Ewigkeit beginnt jetzt!“ eine besondere Kampagne: Es geht darum, die Zukunft der Armenischen Gemeinde aktiv mitzugestalten – als Gemeinschaft, mit Ideen und Tatkraft. Im Interview spricht die Vorsitzende Kristina Bagratuni über Identität, Tradition und die Kraft des Handelns. Sie lädt alle Mitglieder ein, Teil dieser Bewegung zu werden und die Stärke der Gemeinde heute zu entfalten – für morgen und darüber hinaus.

AGBW Frage: Was bedeutet es heute, Armenier in der Diaspora zu sein? Wie verändert sich unsere Identität hier in Deutschland?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): In erster Linie bedeutet es Integration. Nicht im Sinne von Verlust, Aufgabe oder Veränderung von Tradition, Glaube und Kultur; mehr eine Verschmelzung jener mit den Werten und Tugenden hierzulande. Dadurch zeigen wir der Welt, dass wir Armenier durchaus ein gutes Beispiel für tadellose und friedliche Anpassung sein können. Egal wo wir uns in der Welt befinden.

AGBW Frage: Viele Armenier stehen zwischen Tradition und Moderne. Wie erleben Sie dieses Spannungsfeld in unserer Gemeinde?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): Anders als in einer eher konservativ-traditionell ausgelebten Diaspora in den U.S.A. beispielsweise, empfinde ich europäische Armenier eher gemässigter und offener.

Was bedeutet schon die Moderne, wenn man sich seiner traditionellen und kulturträchtigen Vergangenheit nicht bewusst ist? Das Eine steht für Kontinuität von Werten, Überzeugungen und Praktiken, während das Andere Wandel, Innovation und Fortschritt verkörpert. Objektiv betrachtet, empfinde ich unsere Gemeinde daher als ein vorbildliches Beispiel ausgeglichener Integrität.

AGBW Frage: Wir befinden uns in der Großen Fastenzeit. Warum ist gerade jetzt, in unserer heutigen Zeit, die Große Fastenzeit so wichtig?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): Fastenzeit ist in meinem Verständnis eine Zeit der Besinnung, Demut und Bescheidenheit. Die aktuelle Welt ist geplagt von politischen Auseinandersetzungen und Kriegen, fremdenfeindlicher Gewalt und gesellschaftlicher Unsicherheit. Vielleicht können wir mit diesen obergenannten Tugenden ein bisschen Licht und Liebe auf die offenen Wunden der Welt scheinen lassen. Ich, für meinen Teil, glaube ganz fest daran. Außerdem empfehle ich auch das Fasten von Social Media, um auch geistig sich zu erholen.

AGBW Frage: Sie nennen unsere Kirche „Heimat“. Kann eine Heimat in der Diaspora wirklich existieren – oder bleibt sie immer ein Fragment?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): Heimat ist nicht unbedingt ortsgebunden. Natürlich sind die Landschaften, Schluchten und Flusstäler Armeniens tief in den Erinnerungen meiner Kindheit verwurzelt und ich bin stolz  jene Kultur meine Heimat nennen zu dürfen. Aber Heimat ist auch Familie, Freunde, Gemeinde, Kirche. Was wir daraus machen, liegt an uns selbst. Für mich persönlich ist es kein Fragment, nein. Eher eine wohlgesonnene Chance, Heimat in der weiten Fremde zu finden.

AGBW Frage: Unsere Surb Khatsch Kirche in Göppingen wird gerade saniert. Warum geht es dabei nicht nur um Steine, sondern um etwas viel tieferes?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): Natürlich geht es um etwas viel tiefgründigeres. Wie schon erwähnt, beheimatet uns die Kirche. Sie gibt uns soviel… Zuflucht, Wärme, Empathie, Läuterung. Es ist daher unser Bestreben, gar Verpflichtung, der Kirche zurückzugeben.

AGBW Frage: Gerade beginnt die Kampagne der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg „Die Ewigkeit beginnt jetzt“ – das ist eine starke Aussage. Warum braucht Ewigkeit einen Anfang?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): Ewigkeit braucht keinen Anfang – zumindest nicht in ihrer reinen, absoluten Form. Wenn sie wirklich ewig ist, existiert sie jenseits von Anfang und Ende. Unser Volk, unsere Gemeinde, unser Hayastan, werden immer existieren. Doch mit unserem Slogan „Die Ewigkeit beginnt jetzt“ wollen wir die Gemeinde einladen, diese Kraft heute zu spüren und mitzugestalten. Es ist eine Chance, die Zukunft unserer Gemeinschaft aktiv in die Hand zu nehmen – jetzt, in diesem Moment, gemeinsam.

AGBW Frage: Viele Menschen warten, dass sich etwas verändert. Sie sagen: „Warte nicht. Handle.“ Warum fällt es uns so schwer, aktiv zu werden?

Kristina Bagratuni (Vorsitzende): Die Antwort auf solch eine Frage birgt viele gesellschaftliche Unzulänglichkeiten, welche uns durchaus bewusst sind, es jedoch bequemer ist diese einfach unter den Teppich zu kehren. Man muss der schonungslosen Realität ins Auge blicken und konstatieren, dass es gewaltigen Mut, Passion und Durchhaltevermögen erfordert etwas in dieser Richtung zu bewerkstelligen. Größtes Manko ist natürlich das Finanzielle, aber auch die träge und lethargische Bereitwilligkeit zu Leiden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nunmal leichter zu folgen als zu führen. Nüchtern betrachtet, braucht es jedoch nicht viel um aktiv zu werden. Aktiv werden beginnt mit einem kleinen Schritt, mit der Überzeugung, dass dein Beitrag zählt. Zusammen haben wir die Kraft, Großes zu schaffen. Jeder von uns kann führen, indem wir uns gegenseitig inspirieren.

AGBW Frage: Wenn Sie eine einzige Botschaft an die Menschen in unserer Gemeinde richten könnten – welche wäre das? 

Sei immer du selbst – egal wo und unter welchen Zuständen. Bleib dir selbst treu – egal, wo du bist oder was dich begegnet. Besonders an unsere Jugend möchte ich sagen: Ihr habt so viel Potenzial, so viele Ideen, die darauf warten, gehört zu werden. Lasst euch nicht von der Flut der Medien davontragen – eure Stimme ist einzigartig und stark. Habt den Mut, sie zu erheben, in unserer Gemeinde und darüber hinaus. Gemeinsam bauen wir auf dem, was ihr einbringt.