Sonntag des Verlorenen Sohnes

Predigt von Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan 
gesprochen in am 16. März 2025 in Stuttgart

Liebe Schwestern und Brüder,

heute, am dritten Sonntag der Großen Fastenzeit, lädt uns die Armenische Kirche ein, über das Gleichnis des Verlorenen Sohnes nachzudenken. Dieses Evangelium, ergänzt durch die Worte Jesajas, des Apostels Paulus und die Lehren Jesu, öffnet uns einen Blick auf die unermessliche Güte Gottes und die Möglichkeit, immer wieder zu Ihm zurückzukehren. Es ist eine Geschichte, die uns Hoffnung schenkt, uns zur Umkehr ermutigt und uns auffordert, in der Liebe Gottes zu wachsen. Lassen Sie uns gemeinsam drei zentrale Aspekte betrachten: die Einladung zur Rückkehr, die Verheißung der Erneuerung und die Aufgabe, als versöhnte Gemeinschaft zu leben.

A. Die Einladung zur Rückkehr: Ein Schritt in die Freiheit

Im Mittelpunkt des Evangeliums nach Lukas 15 steht der jüngere Sohn, der sein Erbe verlangt, fortzieht und sich in einem Leben der Verschwendung verliert. Doch als er am Tiefpunkt angelangt ist – hungrig und verlassen inmitten fremder Schweine –, geschieht etwas Entscheidendes: „Er kam zur Besinnung“ (Lukas 15,17). Dieser Moment der Einsicht ist keine Niederlage, sondern der Beginn eines neuen Weges. Er erkennt, dass es im Haus seines Vaters Überfluss gibt, und wagt die Rückkehr, nicht als Sohn, sondern als demütiger Diener.

Was uns dieses Gleichnis lehrt, ist die Kraft der Entscheidung. Wir alle kennen Augenblicke, in denen wir uns verirrt fühlen – sei es durch Entscheidungen, die uns von anderen trennen, oder durch innere Leere, die uns belastet. Doch die Botschaft lautet: Es ist nie zu spät, umzukehren. Der Vater im Gleichnis sieht seinen Sohn schon von weitem, läuft ihm entgegen und umarmt ihn, ohne Vorwürfe, ohne Bedingungen (Lukas 15,20). Gottes Gnade erwartet uns nicht mit Strenge, sondern mit offenen Armen. Jeder Schritt zurück zu Ihm ist ein Schritt in die Freiheit – eine Freiheit, die uns erlaubt, unser Leben neu zu gestalten.

B. Ein Leben in Fülle

Die Lesung aus Jesaja 54,11-55,13 vertieft diese Hoffnung mit einer Vision der Wiederherstellung. Gott spricht zu einem Volk im Exil: „Ich will deine Steine mit edlen Farben legen und deine Fundamente mit Saphiren“ (Jesaja 54,11). Selbst aus Trümmern kann etwas Kostbares entstehen. Und weiter: „Kommt zum Wasser, ihr Durstigen, kauft ohne Geld und ohne Bezahlung“ (Jesaja 55,1). Hier wird uns eine Fülle angeboten, die nicht von unseren Leistungen abhängt, sondern von Gottes großzügiger Liebe.

Der verlorene Sohn erfährt diese Erneuerung hautnah: Der Vater kleidet ihn in ein festliches Gewand, steckt ihm einen Ring an den Finger und lässt ein Festmahl bereiten (Lukas 15,22-23). Dies ist kein bloßer Neuanfang, sondern eine Wiederherstellung seiner Würde. Gott sieht nicht nur, was wir waren, sondern was wir werden können. In Seiner Nähe finden wir nicht nur Vergebung, sondern ein Leben, das reich an Sinn und Freude ist. Diese Verheißung gilt uns allen: Aus jedem Verlust kann etwas Neues wachsen, wenn wir uns Gott anvertrauen.

C. Die Aufgabe, als Versöhnte zu leben

Doch die Geschichte endet nicht mit der Rückkehr des Sohnes. Der ältere Bruder tritt auf den Plan – treu, arbeitsam, aber voller Groll (Lukas 15,28-30). Seine Reaktion zeigt uns, wie schwer es sein kann, die Gnade für andere anzunehmen. Hier greift die Lehre Jesu aus Lukas 6,12-49 ein: „Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen“ (Lukas 6,27). Diese Worte fordern uns heraus, über uns hinauszuwachsen. Der Vater bittet den älteren Sohn, sich mitzufreuen: „Dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden“ (Lukas 15,32). Versöhnung bedeutet nicht nur, zu Gott zurückzukehren, sondern auch, einander in Liebe zu begegnen.

Paulus ergänzt dies in 2. Korinther 6,1-7,1: „Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils“ (2. Korinther 6,2). Wir sind aufgerufen, diese Gnade nicht vergeblich zu empfangen, sondern sie in unserem Leben sichtbar zu machen – durch Geduld, Güte und aufrichtige Liebe (2. Korinther 6,6). Als versöhnte Menschen tragen wir die Verantwortung, Brücken zu bauen, wo Trennung herrscht, und Freude zu teilen, wo Bitterkeit droht.

Ein Fest der Heimkehr

Liebe Schwestern und Brüder, der Sonntag des Verlorenen Sohnes ist ein Fest der Heimkehr. Gott lädt uns ein, zu Ihm zurückzukehren, uns von Seiner Fülle erneuern zu lassen und als Gemeinschaft in Seiner Liebe zu leben. Mögen wir den Mut finden, diesen Weg zu gehen – nicht aus Zwang, sondern aus der Gewissheit, dass wir erwartet werden. Denn wie Jesaja verkündet: „Mit Freude sollt ihr ausziehen, und mit Frieden geleitet werden“ (Jesaja 55,12). Lassen Sie uns dieses Geschenk annehmen und gemeinsam feiern, dass wir Kinder eines Vaters sind, der uns niemals aufgibt. Amen.

Kurze Zusammenfassung der heutigen Lesungen:

Lukas 6,12-49

Jesus zieht sich zunächst zum Gebet zurück und wählt anschließend seine zwölf Apostel aus. Er lehrt seine Jünger und die versammelte Menge über wahre Glückseligkeit und die Umkehr der Werte im Reich Gottes: Die Armen, Trauernden und Verfolgten werden getröstet, während die Reichen und Selbstzufriedenen gewarnt werden. Jesus fordert zur Feindesliebe, zur Vergebung und zur Großzügigkeit auf. Besonders betont er, dass wir nicht über andere urteilen sollen, sondern selbst unsere eigenen Fehler erkennen müssen. Schließlich vergleicht Jesus das Hören und Umsetzen seiner Worte mit dem Bau eines Hauses auf festem Fundament – es steht sicher in Zeiten der Prüfung.


Jesaja 54,11-55,13

Jesaja beschreibt Gottes Verheißung, sein Volk wieder aufzubauen und zu trösten. Gott verspricht Frieden, Gerechtigkeit und Schutz. Er lädt alle ein, zu ihm zu kommen und von seinen Segnungen zu kosten – unabhängig von ihrem Wohlstand. Gottes Gedanken und Wege sind höher als die der Menschen, doch sein Wort wird seine Wirkung entfalten. Am Ende steht die Zusage, dass diejenigen, die Gott suchen und ihm folgen, Freude und Frieden erfahren werden.


2. Korintherbrief 6,1-7,1

Paulus ruft die Gemeinde auf, Gottes Gnade nicht zu vergeuden. Er ermutigt sie, trotz aller Prüfungen und Leiden standhaft im Glauben zu bleiben. Paulus beschreibt seinen eigenen Dienst, der von Geduld, Reinheit, Liebe und Wahrhaftigkeit geprägt ist. Er fordert die Gläubigen auf, sich von allem Bösen fernzuhalten und sich Gott hinzugeben, um wahre Gemeinschaft mit ihm zu erleben.


Evangelium nach Lukas 15,1-32

Das Gleichnis vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme und dem verlorenen Sohn offenbart Gottes unendliche Barmherzigkeit. Jesus zeigt, dass der Himmel sich mehr über einen reumütigen Sünder freut als über viele Gerechte. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn wird die tiefe Vaterliebe Gottes sichtbar: Der Vater nimmt den reuigen Sohn voller Mitgefühl auf und feiert seine Rückkehr. Gleichzeitig fordert Jesus die „älteren Brüder“ auf, sich nicht der Gnade Gottes zu verschließen, sondern sich über die Rettung jedes Menschen zu freuen.


Kernbotschaft: Die Lesungen erinnern uns daran, dass Gottes Barmherzigkeit unendlich ist. Er ruft uns zur Umkehr, zur Liebe und zur Vergebung auf. Wer seine Worte hört und danach lebt, baut sein Leben auf ein unerschütterliches Fundament. Gottes Gnade ist ein Geschenk, das wir annehmen und weitergeben sollen – im Vertrauen darauf, dass sein Wort uns zum wahren Leben führt.

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