Von der Schöpfung zur Auferstehung:

Die Taufe Jesu –
Die neue Schöpfung

3. Woche, Montag (17. März 2025):

Biblische Lesung für den Tag:
Matthäus 3:13-17; Jesaja 42:1-7

Die Theophanie am Jordan

„Da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ (Mt 3,16-17)

Während wir in der dritten Woche unserer Fastenreise voranschreiten, richtet sich unser Blick heute auf ein zentrales Ereignis der Heilsgeschichte: die Taufe Jesu im Jordan. Dieser Moment markiert nicht nur den Beginn des öffentlichen Wirkens Christi, sondern konstituiert eine tiefgreifende theologische Wirklichkeit – die Offenbarung der Trinität und den Anfang der kosmischen Erneuerung.

Die Taufe Jesu steht in einer spannungsvollen theologischen Paradoxie. Der Sündlose unterzieht sich einem Ritual der Sündenvergebung; der Schöpfer lässt sich in die Wasser seiner eigenen Schöpfung tauchen; der Meister wird zum Jünger des Johannes, um sogleich als Meister offenbart zu werden. Diese Paradoxien sind nicht logische Widersprüche, sondern theologische Tiefendimensionen, die das Mysterium der Menschwerdung und Erlösung erhellen.

In der armenischen liturgischen Tradition wird die Taufe Christi im Fest Astvatshaytnutiun („Erscheinung Gottes“) gefeiert. Anders als in den westlichen Kirchen, die Epiphanie und Taufe des Herrn trennen, bewahrt die armenische Tradition die ursprüngliche Einheit dieser Feier. Darin zeigt sich ein tiefes theologisches Verständnis: Die Taufe Jesu ist nicht nur ein biographisches Ereignis, sondern eine Theophanie – eine Selbstoffenbarung Gottes, die den gesamten Kosmos betrifft.


Die Taufe Jesu in der Heilsgeschichte:
Anamnese und Prolepsis

Die Taufe Jesu steht in einem komplexen heilsgeschichtlichen Beziehungsgeflecht. Sie ist sowohl Anamnese (Erinnerung) als auch Prolepsis (Vorwegnahme):

1. Anamnese der Schöpfung

Die Szene am Jordan weckt unweigerlich Erinnerungen an den Beginn der Schöpfung: „Die Erde war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,2). In der Taufe Jesu begegnen wir denselben Elementen: dem Wasser, über dem sich der Geist in Gestalt einer Taube niederlässt.

Der heilige Ephräm der Syrer (ca. 306-373), dessen Hymnen die armenische Tradition stark beeinflusst haben, entwickelt diese Parallele: Die Taufe Jesu ist eine Neuschöpfung, eine Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung. So wie der Geist am Anfang über den Wassern schwebte, um Leben zu bringen, so heiligt derselbe Geist bei der Taufe Christi die Wasser des Jordan und damit alle Wasser der Erde.

Die kirchenväterliche Tradition sieht in dieser Parallele keinen Zufall, sondern theologische Absicht: Im Jordan berührt der Schöpfer seine Schöpfung, um sie von innen her zu erneuern. Basileios der Große (ca. 330-379) erkennt in der Taufe Jesu den Beginn jener kosmischen Heiligung, die in der Auferstehung und der eschatologischen Vollendung ihren Höhepunkt finden wird.

2. Anamnese des Exodus

Eine zweite heilsgeschichtliche Parallele verbindet die Taufe Jesu mit dem Exodus Israels. Der Durchzug durch das Rote Meer, der Israel aus der Knechtschaft in die Freiheit führte, wird in der patristischen Tradition als Typos der Taufe verstanden. Paulus schreibt: „Unsere Väter wurden alle unter der Wolke geführt und alle sind sie durch das Meer gezogen; alle wurden auf Mose getauft in der Wolke und im Meer“ (1 Kor 10,1-2).

Wenn Jesus in den Jordan hinabsteigt, wiederholt er symbolisch den Weg Israels. Doch während Israel durch das Wasser aus der ägyptischen Sklaverei befreit wurde, befreit Christus durch seine Taufe die gesamte Menschheit aus der Knechtschaft der Sünde. Der Jordan wird zum neuen Roten Meer, und Christus zum neuen Mose, der sein Volk ins verheißene Land führt.

3. Prolepsis des Kreuzestodes und der Auferstehung

Die Taufe Jesu nimmt bereits sein Pascha-Mysterium vorweg. Wenn Jesus von seiner bevorstehenden Passion spricht, verwendet er explizit das Bild der Taufe: „Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und wie bin ich bedrängt, bis sie vollbracht ist!“ (Lk 12,50) Die Taufe im Jordan ist somit ein Vorzeichen seines Kreuzestodes – ein Untertauchen in die Tiefe des Leidens und des Todes.

Der heilige Cyrill von Jerusalem (313-386) entfaltet diese Verbindung in seinen mystagogischen Katechesen: „Du bist mit Christus in der Taufe begraben worden, aber auch mit ihm auferstanden.“ Das Untertauchen im Wasser symbolisiert den Tod, das Auftauchen die Auferstehung. In der Taufe Jesu sehen wir also bereits das gesamte Pascha-Mysterium angedeutet.

Die armenische liturgische Tradition bewahrt diese Verbindung in ihren Hymnen und Gebeten. Das Wasser des Jordan weist voraus auf das Wasser und Blut, das aus der Seite des Gekreuzigten fließen wird – jene lebensspendenden Ströme, die die Kirche und ihre Sakramente konstituieren.


Die trinitarische Dimension:
Göttliche Selbstoffenbarung

Ein zentraler theologischer Aspekt der Taufe Jesu ist die Offenbarung der Trinität: Der Sohn steht im Wasser, der Geist schwebt in Gestalt einer Taube herab, und die Stimme des Vaters erklingt aus dem Himmel. Es ist der erste explizite Moment in der Heilsgeschichte, in dem die drei göttlichen Personen gleichzeitig und distinkt in Erscheinung treten.

Diese trinitarische Dimension hat tiefgreifende Konsequenzen für die Tauftheologie. Sie zeigt, dass die christliche Taufe nicht nur ein Reinigungsritual ist, sondern Eingliederung in das trinitarische Leben Gottes selbst. Der heilige Gregor von Nazianz (ca. 329-390) betont in seiner „Oratio 40″ über die Taufe, dass die Trinität nicht nur bei der Taufe Christi, sondern bei jeder christlichen Taufe gegenwärtig ist: Der Vater als der, der ruft, der Sohn als Vorbild und Weg, der Geist als der, der heiligt und vollendet.

Die armenische Tauftradition spiegelt diese trinitarische Struktur wider. Der Täufling wird dreimal untergetaucht „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ – ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Taufe Eingliederung in das Leben des dreieinigen Gottes ist.


Die Taufe Jesu als christologisches Offenbarungsgeschehen

Bei der Taufe Jesu erklingt die Stimme des Vaters: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Diese Worte verweisen auf zwei zentrale alttestamentliche Texte:

  1. Psalm 2,7: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ – eine messianische Verheißung, die sich in Jesus erfüllt.
  2. Jesaja 42,1: „Siehe, mein Knecht, den ich stütze; mein Erwählter, an dem ich Gefallen habe“ – der Beginn des ersten Gottesknechtliedes, das das erlösende Leiden des Messias voraussagt.

In dieser doppelten Referenz offenbart sich die paradoxe Identität Jesu: Er ist zugleich der königliche Sohn Gottes und der leidende Gottesknecht. Die Taufe ist somit ein christologisches Offenbarungsgeschehen – ein Moment, in dem das Wesen und die Sendung Jesu enthüllt werden.

Der armenische Kirchenvater Eznik von Kolb (5. Jahrhundert) reflektiert in seinem Werk „Wider die Sekten“ über diese zweifache Identität Christi. Für ihn ist die Taufe Jesu ein Schlüsselmoment, in dem sichtbar wird, dass Erlösung sowohl göttliche Hoheit als auch menschliche Demut erfordert.


Die ekklesiologische Dimension: Die Geburt der Kirche

Die Kirchenväter sehen in der Taufe Jesu nicht nur ein individuelles Ereignis, sondern ein ekklesiologisches Geschehen – den Beginn der Kirche als neues Gottesvolk. So wie Eva aus der Seite des schlafenden Adam gebildet wurde, so entsteht die Kirche aus der Seite des am Kreuz „schlafenden“ Christus. Die Taufe im Jordan ist ein Vorausbild dieses Mysteriums.

Der heilige Johannes Chrysostomos (ca. 349-407) interpretiert das Herabkommen des Geistes auf Jesus im Jordan als Vorwegnahme des Pfingstereignisses: So wie der Geist auf Christus herabkommt, so wird er später auf die Kirche herabkommen und sie zum Leib Christi machen.

In der armenischen Tradition wird diese ekklesiologische Dimension in der Wasserweihe am Fest der Theophanie besonders deutlich. Das Wasser, in dem das Kreuz eingetaucht wird, wird zum Symbol des Jordan und zugleich zum Quell der Taufe, aus dem die Kirche immer neu geboren wird.


Die Taufe als Hermeneutik der Identität

Die Taufe Jesu wirft tiefgreifende philosophische Fragen nach Identität und Erkenntnis auf. Der Philosoph Paul Ricœur (1913-2005) unterscheidet zwischen idem-Identität (Selbigkeit) und ipse-Identität (Selbstheit). Während die erste auf Konstanz und Unveränderlichkeit beruht, ist die zweite dynamisch und relational.

Im Licht dieser Unterscheidung erscheint die Taufe Jesu als Offenbarung seiner ipse-Identität – seiner Selbstheit in Beziehung zum Vater und zum Geist. „Dies ist mein geliebter Sohn“ – diese Worte definieren Jesus nicht durch Eigenschaften (was er ist), sondern durch Beziehung (wessen Sohn er ist).

Der dänische Denker Søren Kierkegaard (1813-1855) betont, dass wahre Identität nicht in Selbstreflexion, sondern in Selbsttranszendenz gefunden wird – in der Beziehung zum Absoluten. In diesem Sinne ist die Taufe Jesu ein Modell authentischer Identitätsfindung: Jesus empfängt seine Identität vom Vater und lebt sie in der Kraft des Geistes.

Diese philosophische Perspektive hat existenzielle Konsequenzen für unser Verständnis der eigenen Taufe. Sie ist nicht primär ein Akt der Selbstbestimmung, sondern der Empfang einer neuen Identität von Gott her – einer Identität, die sich in Beziehungen verwirklicht.


Praktische Übungen zur Vertiefung der Taufgnade

Die Betrachtung der Taufe Jesu lädt uns ein, unsere eigene Taufe neu zu verstehen und zu leben. Hier sind einige konkrete Übungen für diese Woche:

1. Meditation über Matthäus 3,13-17

Nimm dir Zeit für eine kontemplative Lektüre des Taufberichts. Stelle dir die Szene am Jordan lebendig vor: das Wasser, den Himmel, die Taube, die Stimme. Überlege, welche Bedeutung jedes dieser Elemente für dein eigenes Glaubensleben hat. Spüre der Frage nach: Was bedeutet es für mich, dass Jesus sich hat taufen lassen?

2. Das Taufbekenntnis als existenzielle Entscheidung

Lies das Glaubensbekenntnis langsam und aufmerksam, als persönliche Antwort auf den Ruf Gottes. Halte inne bei jenen Aussagen, die dich besonders berühren oder herausfordern. Frage dich: Wie prägt dieser Glaube mein konkretes Leben? Welche Konsequenzen hat er für meine Entscheidungen und Beziehungen?

3. Wasser als Symbol des Lebens und der Reinigung

Werde dir während dieser Woche besonders bewusst, wie du mit Wasser umgehst – beim Waschen, Trinken, Kochen. Betrachte es als Symbol der göttlichen Gnade, die reinigt, erfrischt und Leben spendet. Diese achtsamere Wahrnehmung kann dich für die sakramentale Dimension der alltäglichen Wirklichkeit sensibilisieren.


Gebet zur Taufe Jesu

Allheiliger Dreifaltiger Gott,
bei der Taufe im Jordan hast du dich offenbart:
Du, Vater, hast vom Himmel gesprochen,
du, Sohn, hast dich in die Wasser des Jordans getaucht,
du, Heiliger Geist, bist wie eine Taube herabgekommen.

Ich danke dir, dass du mich in der Taufe
zu deinem Kind und Erben gemacht hast.
Erneuere in mir die Gnade dieses Mysteriums,
dass ich in der Kraft des Geistes lebe
und in der Wahrheit wandle.

Hilf mir, meine Taufe ernst zu nehmen –
nicht nur als vergangenes Ereignis,
sondern als tägliche Wirklichkeit.
Lass mich sterben mit Christus dem alten Menschen
und mit ihm auferstehen zum neuen Leben.

So wie du, Jesus Christus, dich in Solidarität mit uns
den Wassern des Jordan anvertraut hast,
so lass mich in Solidarität mit allen Menschen leben,
besonders mit den Leidenden und Suchenden.
Amen.


Die Taufe als Beginn der neuen Schöpfung

Die Taufe Jesu im Jordan markiert den Beginn einer neuen Ära in der Heilsgeschichte. Sie ist nicht nur ein individuelles Ereignis im Leben Jesu, sondern ein kosmisches Geschehen, das die gesamte Schöpfung betrifft. Maximus der Bekenner (ca. 580-662) spricht von der „kosmischen Liturgie“ – der Einbeziehung der ganzen Schöpfung in das Erlösungswerk Christi. Diese kosmische Dimension wird in der Taufe Jesu besonders deutlich.

Die armenische Tradition bewahrt dieses Verständnis in ihrer Liturgie zum Fest der Theophanie. Bei der Großen Wasserweihe wird nicht nur an die Taufe Jesu erinnert, sondern die ganze materielle Welt wird in das Erlösungswerk einbezogen. Das geweihte Wasser wird zum Symbol der erneuerten Schöpfung, zu einem „Wasser des Lebens“, das alles heiligt, was damit in Berührung kommt.

In der armenischen Spiritualität wird diese Verbindung von Schöpfung und Erlösung besonders betont. Die materielle Welt wird nicht als Hindernis, sondern als Medium der göttlichen Gnade verstanden. Die Taufe Jesu zeigt, dass Gott die Materie nicht verwirft, sondern heiligt – ein Grundprinzip, das sich durch alle Mysterien der Kirche zieht.

Während wir unsere Fastenreise fortsetzen, laden uns die Lesungen dieses Tages ein, die eigene Taufe als Teil dieser kosmischen Erneuerung zu sehen. Die Fastenzeit ist eine Zeit, in der wir bewusst zurückkehren zu unserer Taufidentität – zu unserem Sein „in Christus“. So wie Jesus bei seiner Taufe hörte: „Dies ist mein geliebter Sohn“, so sind auch wir durch die Taufe geliebte Kinder Gottes geworden.

Diese Identität ist kein statischer Besitz, sondern eine dynamische Wirklichkeit, die jeden Tag neu gelebt werden will. Die Fastenzeit ist eine privilegierte Zeit, um diese Taufgnade zu vertiefen und zu aktualisieren – um neu in das Wasser der Gnade einzutauchen und als neue Geschöpfe aufzutauchen, die bereit sind, in der Kraft des Geistes zu leben.

Pfr. Dr. Diradur Sardaryan