Von der Schöpfung zur Auferstehung:

Der Glaube des Schächers –
Heute noch im Paradies

5. Woche, Donnerstag (3. April 2025):

Biblische Lesung für den Tag:
Lukas 23:39-43

Die Bekehrung am Rande des Abgrunds

„Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen! Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst! Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,39-43)

Die heutige Betrachtung führt uns zu einer der bewegendsten Szenen der Passion – der Begegnung zwischen dem gekreuzigten Christus und dem reuigen Schächer. In dieser kurzen Episode, die nur der Evangelist Lukas überliefert, verdichtet sich das gesamte Evangelium: Umkehr, Glaube, Vergebung und Erlösung.

Die Szene spielt im Angesicht des Todes. Drei Gekreuzigte hängen nebeneinander – Jesus in der Mitte und zwei Verbrecher zu seiner Rechten und Linken. Während einer der Verbrecher in Verbitterung und Spott verharrt, vollzieht sich im Herzen des anderen eine wunderbare Wandlung – ein letzter Funke Glauben, eine letzte Regung der Hoffnung, die zur Rettung führt.

In der armenischen liturgischen Tradition, besonders in den Riten der Karwoche, wird diese Szene als Schlüsselmoment der Heilsgeschichte verstanden. Sie zeigt, dass das Kreuz nicht nur Ort des Todes, sondern auch Pforte des Paradieses ist – nicht nur Instrument der Strafe, sondern auch Schlüssel zur Erlösung. Die armenischen Hymnen (Šarakans) des Karfreitags besingen diese Paradoxie: Der Baum des Fluches wird zum Baum des Lebens, das Holz der Schande zum Tor des Paradieses.

Nach unserer Betrachtung der Fußwaschung und der sieben letzten Worte Jesu am Kreuz konzentrieren wir uns heute auf eine spezifische Begegnung unter dem Kreuz – eine Begegnung, die uns zeigt, dass Bekehrung bis zum letzten Atemzug möglich ist und dass Gottes Barmherzigkeit keine Grenzen kennt.


Die zwei Schächer:
Ein Gleichnis der menschlichen Freiheit

Die Evangelien berichten, dass Jesus zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt wurde – eine Erfüllung der Prophezeiung: „Er wurde zu den Verbrechern gerechnet“ (Jes 53,12). In dieser Konstellation sehen die Kirchenväter ein tiefes Symbol der menschlichen Freiheit und der Entscheidung, vor die jeder Mensch angesichts des Kreuzes Christi gestellt ist:

1. Der verhärtete Schächer: Blindheit in der Krise

Der erste Schächer repräsentiert jene Haltung, die selbst angesichts des Todes in Bitterkeit und Unglauben verharrt. Seine Worte – „Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns!“ (Lk 23,39) – klingen wie ein Echo der Versuchung Satans in der Wüste: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden“ (Lk 4,3).

Es ist die Stimme des Unglaubens, die ein Zeichen fordert, bevor sie glaubt. Es ist die Versuchung, Gott nach menschlichen Maßstäben zu messen und ihn nur anzuerkennen, wenn er unseren unmittelbaren Wünschen entspricht. Der verhärtete Schächer sieht in Jesus nur einen Gescheiterten, einen, der wie er selbst dem Tod ausgeliefert ist.

Der heilige Johannes Chrysostomos (ca. 349-407) kommentiert: „Sieh, wie er selbst am Rande des Todes nicht von seiner Bosheit ablässt. Er hätte an sich selbst denken sollen, doch stattdessen verhöhnt er den, der ihn retten könnte.“ Diese Verhärtung des Herzens selbst angesichts des Todes ist ein Sinnbild für die Kraft des Hochmuts, der die Wahrheit nicht anerkennen will, auch wenn sie direkt vor Augen steht.

2. Der reumütige Schächer: Erkenntnis in der Dunkelheit

Der zweite Schächer repräsentiert den Weg der Umkehr, der Reue und des Glaubens. Seine Antwort an den ersten Schächer offenbart eine bemerkenswerte spirituelle Klarheit:

  • Er erkennt die Gerechtigkeit des göttlichen Gerichts: „Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten“ (Lk 23,41). Es ist das Eingeständnis der eigenen Schuld ohne Entschuldigung oder Selbstrechtfertigung.
  • Er bekennt die Unschuld Jesu: „Dieser aber hat nichts Unrechtes getan“ (Lk 23,41). In dieser einfachen Aussage liegt ein tiefes Bekenntnis der Sündlosigkeit Christi.
  • Er erkennt in Jesus den König, der über den Tod hinaus herrscht: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lk 23,42). Diese Bitte setzt voraus, dass Jesus nicht einfach im Tod bleibt, sondern in ein Reich eingeht, das jenseits des Todes liegt.

Man kann hier die Frage stellen: „Wer hat dir, o Schächer, gelehrt, Einen anzubeten, der neben dir leidet? O ewiges Licht, das denen leuchtet, die in Finsternis sitzen!“ Die Erkenntnis des Schächers mitten in der Todesstunde erscheint wie ein Wunder – ein Lichtstrahl, der die Dunkelheit von Golgota durchbricht.

3. Christus in der Mitte: Das Kreuz als Scheidepunkt

Die Position Christi zwischen den beiden Schächern ist nicht zufällig, sondern theologisch bedeutsam. Das Kreuz steht in der Mitte der Menschheit und fordert eine Entscheidung. Das Kreuz selbst war ein Richterstuhl. In der Mitte hing der Richter, der eine Räuber, der glaubte, wurde gerettet, der andere, der lästerte, wurde verdammt. Er zeigte schon an, was er mit den Lebenden und Toten tun wird, wo er die einen zu seiner Rechten und die anderen zu seiner Linken stellen wird.

Diese Deutung entspricht der Ankündigung Jesu vom Endgericht: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt… wird er die Menschen voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet“ (Mt 25,31-32). Das Kreuz ist somit ein vorweggenommenes Gericht – nicht nur über Christus, sondern über jeden Menschen, der vor dem Kreuz steht.


Das Wunder des Glaubens

Die Bekehrung des Schächers am Kreuz ist eine der erstaunlichsten Glaubensgeschichten der Bibel. Sie offenbart verschiedene Dimensionen des wahren Glaubens:

1. Glaube als innere Schau jenseits des Sichtbaren

Der reumütige Schächer sieht mit den Augen des Fleisches dasselbe wie der andere: einen sterbenden Mann am Kreuz. Doch mit den Augen des Herzens erkennt er im gekreuzigten Jesus den König des kommenden Reiches. Diese Fähigkeit, das Göttliche im Leidenden zu erkennen, ist die Essenz des Glaubens.

Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos betont in seinen Homilien das Paradoxe dieser Glaubensschau. Der Schächer sah Jesus gekreuzigt und betete ihn an; er sah ihn gepeinigt und bekannte ihn als König. Er sah einen Gekreuzigten und rief ihn als König an, einen Verurteilten und sprach von seinem Reich!

Diese Fähigkeit, über das Sichtbare hinauszuschauen und die verborgene Herrlichkeit zu erkennen, macht das Wesen des christlichen Glaubens aus. Der Apostel Paulus drückt es so aus: „Wir schauen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig“ (2 Kor 4,18).

2. Glaube als Bekenntnis der eigenen Unwürdigkeit

Der Glaube des Schächers beginnt mit dem Eingeständnis der eigenen Schuld. Anders als der spottende Schächer, der sich als Opfer fühlt und Ansprüche stellt, erkennt der reumütige Schächer die Gerechtigkeit seiner Strafe an: „Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten“ (Lk 23,41).

Diese Anerkennung der eigenen Schuld ist keine Selbsterniedrigung, sondern der erste Schritt zur Wahrheit und zur Freiheit. Der heilige Basilius der Große (ca. 330-379) lehrt in seinen asketischen Schriften, dass der Weg der Umkehr mit der Demut beginnt – mit der Bereitschaft, die Wahrheit über sich selbst anzuerkennen.

In der armenischen spirituellen Tradition, besonders in den Schriften des heiligen Gregor von Narek (951-1003), wird diese Haltung der Demut als Grundlage des Gebets verstanden. Sein „Buch der Klagen“ (Matean Voghbergutean) ist durchdrungen von dem Bewusstsein der eigenen Unwürdigkeit, das aber nie in Verzweiflung mündet, sondern stets von Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit getragen ist.

3. Glaube als Vertrauen

Die Bitte des Schächers – „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lk 23,42) – ist ein außergewöhnlicher Akt des Vertrauens. Er glaubt, dass Jesus trotz seiner augenscheinlichen Machtlosigkeit am Kreuz ein Reich hat, in das er eingehen wird.

Dieses Vertrauen ohne sichtbare Garantie ist das Wesen des Glaubens, wie der Hebräerbrief ihn definiert: „Glaube ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). Der Schächer hat nichts, woran er sich festhalten könnte, außer der Person Jesu und seinem Wort.

In der armenischen Tradition des Martyriums, die besonders im 20. Jahrhundert durch den Völkermord eine tragische Aktualität erfahren hat, wird dieser Glaube ohne sichtbare Garantie zu einer existenziellen Erfahrung. Im Angesicht des Todes und des scheinbaren Triumphes des Bösen vertrauen die Märtyrer wie der Schächer auf ein Reich jenseits des Sichtbaren.

4. Glaube als Bitte ohne Anspruch

Die Form der Bitte des Schächers ist bemerkenswert zurückhaltend: „Jesus, denk an mich…“ Er fordert keine bestimmte Position im kommenden Reich, er erbittet keine unmittelbare Befreiung vom Kreuz. Seine Bitte ist einfach: erinnere dich an mich.

Diese Bescheidenheit der Bitte zeugt von wahrer Demut. Der Schächer erkennt, dass er keinen Anspruch hat, dass alles Gnade ist. Er überlässt es Jesus, wie diese Erinnerung aussehen soll.

Der heilige Ephräm der Syrer (ca. 306-373), dessen Hymnen die armenische Liturgie stark beeinflusst haben, betont in seinen Schriften diese Haltung der Demut im Gebet. Das wahre Gebet ist nicht das, was viel fordert, sondern das, was sich demütig der Barmherzigkeit Gottes anvertraut.


Das Wunder der Barmherzigkeit

Die Antwort Jesu auf die Bitte des Schächers ist eines der tröstlichsten Worte der Heiligen Schrift: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Diese Verheißung enthält mehrere theologisch bedeutsame Elemente:

Das „Amen“ als Siegel der Wahrheit

Jesus beginnt seine Antwort mit dem hebräischen Wort „Amen“ – einem Ausdruck der Bekräftigung und Gewissheit. Dieses Wort, das in den Evangelien oft als Einleitung der Worte Jesu dient, unterstreicht die unbedingte Zuverlässigkeit seiner Verheißung. Es ist ein Siegel der göttlichen Treue.

In der liturgischen Tradition des Ostens hat das „Amen“ eine zentrale Bedeutung. Es ist nicht nur eine Formel, sondern ein Bekenntnis des Glaubens – die menschliche Antwort auf Gottes Zusage. Das „Amen“ verbindet Himmel und Erde, göttliche Verheißung und menschliche Annahme.

Das „Heute“ als Zeichen der göttlichen Unmittelbarkeit

Die zeitliche Bestimmung „heute“ ist bemerkenswert. Der Schächer hatte um ein Gedenken in der Zukunft gebeten, doch Jesus verheißt ihm eine unmittelbare Erfüllung. Dieses „heute“ zeigt die Dringlichkeit und Unmittelbarkeit des göttlichen Heils.

Die Kirchenväter sehen in diesem „heute“ ein Zeichen dafür, dass die Seele unmittelbar nach dem Tod in die Gemeinschaft mit Christus eintritt, auch wenn die vollständige Auferstehung des Leibes erst am Ende der Zeiten stattfinden wird. Es ist eine Bekräftigung der Kontinuität des Bewusstseins über den Tod hinaus.

In der armenischen eschatologischen Vorstellung wird dieses „heute“ als Ausdruck der göttlichen Zeitlosigkeit verstanden. Für Gott gibt es kein „zu spät“ oder „noch nicht“, sondern nur das ewige Jetzt seiner Gegenwart.

Das „Paradies“ als Ort der Gemeinschaft mit Christus

Jesus verheißt dem Schächer nicht irgendeine Form des Nachlebens, sondern das „Paradies“ – ein Begriff, der auf den Garten Eden verweist, den ursprünglichen Ort der ungebrochenen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Das Paradies ist nicht primär ein Ort, sondern ein Zustand der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott.

Entscheidend ist der Zusatz „mit mir“. Das wahre Paradies besteht in der Gegenwart Christi. Der heilige Ambrosius von Mailand (ca. 340-397) kommentiert: „Das Leben ist, bei Christus zu sein, denn wo Christus ist, dort ist das Reich.“

Das „Mit mir“ als Kern des Evangeliums

Das Herzstück der Verheißung Jesu liegt in den Worten „mit mir“. Das Christentum ist wesentlich nicht eine Lehre oder ein ethisches System, sondern eine Beziehung – die Gemeinschaft mit Christus.

Der heilige Paulus drückt diese Zentralität der Christusbeziehung so aus: „Für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn“ (Phil 1,21). Das Ziel des christlichen Lebens ist nicht das Paradies als solches, sondern die vollkommene Vereinigung mit Christus. Das „mit Christus sein“ beginnt nicht erst nach dem Tod, sondern ist schon jetzt die Wirklichkeit des Glaubens, die im Gebet, in den Mysterien und im Leben der Liebende erfahren wird.


Der Glaube als existenzieller Sprung

Die Bekehrung des Schächers am Kreuz wirft tiefgreifende philosophische Fragen über das Wesen des Glaubens, die Natur der menschlichen Freiheit und die Möglichkeit der Umkehr auf:

Kierkegaards „Sprung des Glaubens“

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard (1813-1855) hat den Glauben als einen „Sprung“ beschrieben – als eine existenzielle Entscheidung, die nicht durch rationale Argumentation erzwungen werden kann, sondern ein Wagnis der Freiheit darstellt.

Der Glaube des Schächers verkörpert diesen Sprung in exemplarischer Weise. In einer Situation, wo alle empirischen Evidenzen gegen Jesus sprechen – er hängt machtlos am Kreuz, verlassen und sterbend –, wagt der Schächer dennoch den Sprung des Vertrauens. Er setzt sein ewiges Schicksal auf die Karte eines verurteilten Mannes, der äußerlich nichts vorzuweisen hat als seine Wunden.

Dieser Sprung ist kein blinder Dezisionismus, sondern eine Antwort auf die Wahrheit, die sich in der Person Jesu offenbart. Der Schächer „sieht“ in Jesus etwas, was die anderen nicht sehen – eine Würde, eine Reinheit, eine königliche Autorität, die selbst durch Kreuz und Leiden nicht ausgelöscht werden kann.

Bubers Philosophie der Begegnung

Martin Buber (1878-1965) unterscheidet in seinem Werk „Ich und Du“ zwischen zwei Grundhaltungen: der „Ich-Es-Beziehung“, in der der Andere als Objekt behandelt wird, und der „Ich-Du-Beziehung“, in der der Andere als Person in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen wird.

Die Begegnung zwischen Jesus und dem Schächer ist ein Modell dieser „Ich-Du-Beziehung“. Der Schächer wendet sich nicht an einen fernen Gott oder ein abstraktes Prinzip, sondern an die konkrete Person Jesus: „Jesus, denk an mich…“ Diese direkte, personale Ansprache öffnet den Raum für die Begegnung, in der Erlösung geschieht.

In der christlichen Spiritualität, auch in der armenischen Tradition, steht diese personale Beziehung zu Christus im Zentrum. Das Gebet ist nicht ein Monolog, sondern ein Dialog – eine Begegnung zwischen dem menschlichen „Ich“ und dem göttlichen „Du“.

Levinas und die Ethik der Verantwortung

Emmanuel Levinas (1906-1995) entwickelt eine Ethik, die auf der Begegnung mit dem „Antlitz des Anderen“ basiert. In dieser Begegnung erfahren wir einen unbedingten ethischen Anspruch, der uns zur Verantwortung ruft.

In der Szene am Kreuz begegnen wir einer überraschenden Umkehrung: Der Schächer, selbst schuldig und verurteilt, nimmt Verantwortung für Jesus auf sich, indem er ihn gegen die Anklage des anderen Schächers verteidigt: „Dieser aber hat nichts Unrechtes getan“ (Lk 23,41). In diesem Moment der Fürsprache für den unschuldig Leidenden zeigt sich eine ethische Größe, die über die eigene Situation hinausweist.

Diese Haltung der Verantwortung für den Anderen, selbst in der eigenen äußersten Not, ist ein Grundmotiv der christlichen Ethik. Sie findet ihren höchsten Ausdruck in der Liebe Christi, der am Kreuz noch für seine Peiniger betet.


Praktische Übungen für die Fastenzeit

Die Geschichte des reumütigen Schächers lädt uns ein, unseren eigenen Glauben zu vertiefen und unsere Beziehung zu Christus zu erneuern. Hier sind einige konkrete Übungen für diese Woche der Fastenzeit:

1. Meditation über die Bitte des Schächers

Nimm dir Zeit, über die Worte des Schächers zu meditieren: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Mache diese Bitte zu deinem eigenen Gebet. Sprich sie langsam und aufmerksam, verweile bei jedem Wort und lass seinen Sinn in dein Herz sinken.

Diese einfache Bitte kann zu einem „Stoßgebet“ werden, das dich durch den Tag begleitet – besonders in Momenten der Versuchung, der Angst oder der Verzweiflung. Es ist ein Gebet, das den Kern des Evangeliums enthält: die Hinwendung zu Jesus in Vertrauen und Demut.

2. Übung der Selbsterkenntnis

Der Weg des reumütigen Schächers beginnt mit der ehrlichen Anerkennung der eigenen Schuld. Nimm dir Zeit für eine gründliche Gewissenserforschung. Stelle dich der Wahrheit über dich selbst, ohne in Selbstrechtfertigung oder Selbstverurteilung zu verfallen.

Der heilige Gregor von Narek bietet in seinem „Buch der Klagen“ eine tiefe Anleitung zu dieser Praxis der Selbsterkenntnis. Seine Gebete können dir helfen, deine eigene Sündhaftigkeit zu erkennen, ohne den Mut zu verlieren – im Vertrauen auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes.

3. Übung der Hoffnung in aussichtslosen Situationen

Die Hoffnung des Schächers war aus menschlicher Sicht völlig unbegründet. Seine Situation war aussichtslos – er hing am Kreuz, dem Tod geweiht. Und doch hoffte er.

Überlege: Welche scheinbar aussichtslosen Situationen gibt es in deinem Leben oder in der Welt um dich herum? Versuche, diese Situationen im Licht der Hoffnung des Schächers zu sehen. Bitte Christus, dass er auch in diesen Situationen an dich „denkt“ – dass seine rettende Gegenwart auch dort wirksam wird, wo menschlich gesehen keine Hoffnung mehr besteht.

4. Die Praxis der Fürbitte

Der reumütige Schächer wird in der Tradition oft als erster Fürsprecher verstanden – als einer, der für andere eintritt, wie er für Jesus eingetreten ist. Übe dich in dieser Woche besonders im Gebet der Fürbitte.

Nimm dir Zeit, für Menschen zu beten, die in Not sind, die leiden oder die am Rande stehen. Trage sie vor Christus mit den Worten: „Jesus, denk an sie, wenn du in dein Reich kommst!“ Diese Praxis der Fürbitte verbindet dich mit der großen Gemeinschaft der Heiligen, die vor Gott für die Welt eintreten.


Gebet im Geiste des reumütigen Schächers

Herr Jesus Christus,
du hast den flehenden Ruf des Schächers erhört
und ihm deine Barmherzigkeit geschenkt.
Höre auch mein Gebet,
das ich mit den Worten des Schächers an dich richte:
Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!

Ich bekenne vor dir meine Schuld
und anerkenne die Gerechtigkeit deines Urteils.
Ich habe keine Verdienste vorzuweisen,
keine guten Werke, auf die ich mich berufen könnte.
Wie der Schächer am Kreuz
habe ich nur deine Barmherzigkeit,
auf die ich hoffen kann.

Öffne meine Augen,
wie du die Augen des Schächers geöffnet hast,

damit ich dich erkennen kann,
auch wenn du verborgen bist unter dem Schleier des Leidens.
Gib mir den Mut, für die Wahrheit einzutreten,
auch wenn alle anderen schweigen oder spotten.

Schenke mir die Gewissheit deiner Nähe,
besonders in den dunklen Stunden meines Lebens.
Lass mich erfahren, dass dein „heute“ auch für mich gilt –
dass ich schon jetzt in der Gemeinschaft mit dir leben darf,
die in der Vollendung deines Reiches ihre Erfüllung findet.

Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen.


Das Kreuz als Tor zum Paradies

Die Geschichte des reumütigen Schächers öffnet einen überraschenden Blickwinkel auf das Kreuz: Es ist nicht nur ein Instrument des Todes, sondern ein Tor zum Leben – nicht nur ein Zeichen der Verdammnis, sondern ein Schlüssel zum Paradies.

In der armenischen Kreuzsymbolik, besonders in den kunstvoll gestalteten Khachkars (Kreuzsteinen), wird dieser Gedanke bildlich ausgedrückt. Das Kreuz ist umrankt von Lebenszeichen – von Blättern, Trauben und Granatäpfeln, Symbolen der Fülle und Fruchtbarkeit. Es ist kein totes Holz, sondern ein lebendiger Baum, der seine Zweige zum Himmel streckt.

Diese Symbolik entspricht der theologischen Einsicht, dass das Kreuz nicht das Ende, sondern der Anfang ist – nicht die Niederlage, sondern der Sieg. Am Kreuz hat Christus den Tod besiegt und das Paradies geöffnet, das seit dem Fall Adams verschlossen war.

Der reumütige Schächer ist der erste, der durch dieses geöffnete Tor eintritt. Er ist ein Urbild der Kirche – jener Gemeinschaft von Sündern, die durch Reue und Glauben gerettet werden. Seine Geschichte zeigt, dass der Weg zum Paradies nicht über moralische Perfektion oder religiöse Leistung führt, sondern über die vertrauensvolle Hinwendung zu Christus.

In der Fastenzeit sind wir eingeladen, mit dem reumütigen Schächer auf das Kreuz zu schauen und in ihm nicht ein Zeichen der Niederlage, sondern der Hoffnung zu sehen. Mit ihm dürfen wir beten: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ – in der Gewissheit, dass seine Antwort auch uns gilt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“

Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan