Die Fußwaschung

Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. Es fand ein Mahl statt und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn auszuliefern. 3 Jesus, der wusste, dass ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war. Als er zu Simon Petrus kam, sagte dieser zu ihm: Du, Herr, willst mir die Füße waschen? Jesus sagte zu ihm: Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen. Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füße waschen! Jesus erwiderte ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir. Da sagte Simon Petrus zu ihm: Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt. Jesus sagte zu ihm: Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen. Auch ihr seid rein, aber nicht alle. Er wusste nämlich, wer ihn ausliefern würde; darum sagte er: Ihr seid nicht alle rein. Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt. Ich sage das nicht von euch allen. Ich weiß wohl, welche ich erwählt habe, aber das Schriftwort muss sich erfüllen: Der mein Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben. Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt: Ich bin es. Amen, amen, ich sage euch: Wer einen aufnimmt, den ich senden werde, nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.

Johannes 13, 1-20


Mit dem Gründonnerstag betreten wir den innersten Kreis der Karwoche. Die Atmosphäre verdichtet sich, die Zeit verlangsamt sich, als würde die Schöpfung den Atem anhalten angesichts dessen, was nun geschieht. An diesem Tag vereinen sich in der armenischen Tradition Intimität und Verrat, Gemeinschaft und Verlassenheit, das höchste Geschenk und die tiefste Ablehnung.

Während des Abendmahls vollzieht Jesus drei Handlungen, die die Welt verändern werden: Er wäscht seinen Jüngern die Füße, setzt die Eucharistie ein und offenbart den Verrat.

Die Fußwaschung (Johannes 13,1-11) – ein verstörendes Bild: Der Meister kniet vor seinen Schülern, der Schöpfer vor seinen Geschöpfen. „Was ich tue, verstehst du jetzt nicht, du wirst es aber nachher verstehen“, sagt Jesus zu Petrus. Diese Worte könnten als Überschrift über der gesamten Karwoche stehen. Welche Umkehrung aller Werte! Der König wird zum Diener, die Macht manifestiert sich in Demut. Die Fußwaschung ist nicht nur symbolische Geste, sondern offenbart das Wesen Gottes selbst: „Er liebte die Seinen bis zur Vollendung.“

Dann das Mahl (Matthäus 26,17-30) – ein einfaches jüdisches Pessach wird zur Geburtsstunde eines neuen Bundes. „Das ist mein Leib… das ist mein Blut.“ Alltägliche Elemente werden zu Trägern göttlicher Gegenwart. Die Eucharistie ist die verdichtete Form dessen, was am Kreuz geschehen wird: Hingabe bis zum Äußersten. In der Brotbrechung nimmt Jesus seinen gewaltsamen Tod vorweg und verwandelt ihn in eine freiwillige Selbsthingabe.

Inmitten dieser heiligen Intimität steht der Verrat (Johannes 13,12-15). „Einer von euch wird mich verraten.“ Ein Satz wie ein Dolchstoß. Noch erschütternder: Der Verräter taucht mit Jesus das Brot in dieselbe Schüssel. Die höchste Gemeinschaft und der tiefste Verrat liegen nebeneinander. Das war nicht nur damals so – wie oft sitzen wir selbst am Tisch des Herrn, während unsere Herzen fern von ihm sind?

Der Prophet Jesaja (Kapitel 44 und 61) hatte die „Frohbotschaft für die Armen“ vorhergesagt und den „Geist des Herrn“, der auf dem Messias ruhen würde. In Christus erfüllt sich diese Verheißung – doch auf einem Weg, den niemand erwartet hätte: durch freiwilliges Leiden und Tod.

Der erste Korintherbrief (11,23-32) erinnert uns daran, dass wir das Abendmahl „zum Gedächtnis“ feiern sollen. Doch dieses Gedächtnis ist mehr als Erinnerung – es ist Vergegenwärtigung. Im Griechischen steht „anamnesis“, ein Aufheben der Zeit, ein Hineingenommenwerden in das damalige Geschehen.

Der Gründonnerstag stellt uns vor existentielle Fragen: Sind wir bereit, uns vom Herrn die Füße waschen zu lassen – also unsere Verwundbarkeit und Bedürftigkeit zu zeigen? Sind wir bereit, selbst zu dienen, ohne Anerkennung zu erwarten? Und können wir ehrlich in unser Herz schauen und erkennen, wo wir selbst zu Verrätern werden?

In der Dramatik dieses Tages finden wir Trost in einem Paradox: In der Nacht, in der er verraten wurde, gab Jesus sich selbst als Brot des Lebens. Die Liebe bleibt stärker als der Verrat, die Gemeinschaft überdauert die Zersplitterung, das Leben siegt über den Tod.