Eröffnung der Ausstellung

„1915 – AGHET Weg der Tränen“ im Landtag von BW

Am 27. September 2023 wurde im ehrwürdigen Landtag von Baden-Württemberg eine bedeutende Ausstellung eröffnet, die die Schrecken des armenischen Genozids von 1915 thematisiert. Unter der Schirmherrschaft von Landtagspräsidentin Muhterem Aras präsentiert die Künstlerin Lisa M. Stybor eindrucksvolle Zeichnungen, die an authentischen Orten entstanden sind und die grausamen Schicksale der Opfer festhalten. Doch diese Ausstellung ist weit mehr als nur eine kunstvolle Darstellung vergangener Leiden. Sie ist eine dringende Mahnung an die Gegenwart und Zukunft, wie die Botschaft der Künstlerin verdeutlichte.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras betont die Aktualität der Ausstellung

Die Eröffnung der Ausstellung wurde von Landtagspräsidentin Muhterem Aras durchgeführt, die in ihrer Ansprache betonte, wie wichtig es ist, die Vergangenheit zu reflektieren und aus ihr zu lernen. Sie sprach auch den aktuellen Konflikt in Berg-Karabach an und lobte die Vermittlungsrolle Deutschlands zur Sicherung der Zivilbevölkerung.

„Die armenische Diaspora lebt heute in vielen verschiedenen Staaten dieser Welt. Auch bei uns – in Baden-Württemberg – leben heute etwa 5000 Armenierinnen und Armenier. Manche kamen zum Arbeiten hier her, andere mussten fliehen und viele sind hier in Deutschland geboren. Sie alle sind ein Teil unserer Gesellschaft, ein Teil unseres Landes geworden. Ein Teil von Baden-Württemberg“, so die Landtagspräsidentin

Honorarkonsul Pilarsky verlas auch die Begrüßungsrede von Botschafter Viktor Yengibaryan
„Aserbaidschan, das dem Europarat angehört, hat die Armenier von Berg-Karabach zunächst neun Monate lang blockiert und ausgehungert und dann am 19. September einen militärischen Angriff durchgeführt. Mehr als 100.000 christliche Armenier, die enteignet und physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt wurden, sind gezwungen, ihre historische Heimat zu verlassen und ihr Heil in Armenien und anderswo zu suchen. Dies ist ein offener Angriff nicht nur auf die Bevölkerung von Berg-Karabach, sondern auf die gesamte internationale Gemeinschaft.

Diese Ausstellung ist eine gute Gelegenheit, die Vergangenheit neu zu bewerten. Gleichzeitig sehen wir, dass ‚Vergangenheit‘ bedroht ‚Gegenwart‘ oder gar ‚Zukunft‘ zu werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass eine weitere blutige Seite in der Geschichte Europas geschrieben wird.“ hieß es im Schreiben des Botschafters.

Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan fordert mehr als nur schriftliche und mündliche Anerkennung

In seinem Grußwort betonte Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan die Notwendigkeit von konkreten Schritten zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit und erklärte, dass das Schweigen angesichts der aktuellen Situation in Berg-Karabach zu weiterem Leid führen könne. Schließlich appellierte er an die Landtagsabgeordneten, sich gegen die Ungerechtigkeit einzusetzen, humanitäre Hilfe für die Menschen in Berg Karabach zu leisten und sich für die Wahrung der Rechte der Armenier in Berg Karabach und in Armenien einzusetzen.

Zum Abschluss hat Vace Bagratuni (Cello) das Werk von Komitas Vardapet „Der Kranich“ interpretiert.

Die Ausstellung „1915 Aghet – Weg der Tränen“ im Landtag von Baden-Württemberg kann noch bis zum 8. Oktober besucht werden (Infos auf der Web-Seite des Landtags). Sie ist ein Aufruf zur Erinnerung, Toleranz und Solidarität. Die bewegenden Werke von Lisa M. Stybor und die Texte sind auch auf der Web-Seite der Künstlerin erreichbar.

Die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg möchte ihre aufrichtige Dankbarkeit an all jene zum Ausdruck bringen, die maßgeblich zur Verwirklichung dieser Ausstellung beigetragen haben. Ein ganz besonderer Dank gebührt Frau Landtagsabgeordneten Sarah Schweiter (CDU) für das Ergreifen der Initiative sowie Landtagsabgeordneten Ayla Cataltepe (Grüne) für ihre aktive und ständige Unterstützung. Ebenfalls möchte die Gemeinde ihren aufrichtigen Dank an die Landtagspräsidentin Muhterem Aras und an alle Fraktionen im Landtag richten, die diese Ausstellung ermöglicht haben.

Der Weg der Tränen

Seit mehreren Jahren beschaeftige ich mich mit dem Genozid an dem armenischen Volk. ich realisierte, daß nicht viele Menschen hier in Deutschland von diesem Genozid wissen. Ich selbst habe erst – und eher durch Zufall – vor etwa 7 Jahren davon erfahren. In meiner Jugend habe ich oft den Satz gehoert: So etwas darf sich nie wiederholen. Dieser Satz bezog sich auf den II. Weltkrieg, auf die Shoah. die Zeit davor, der I. Weltkrieg, wurde eigentlich nie thematisiert. Erst in den letzten Jahren beginnt man langsam, sich damit auseinanderzusetzen.

Bis heute darf man in der Tuerkei nicht ueber diesen Genozid sprechen. Aber nicht nur das schweigen zwischen der Tuerkei und dem armenischen Volk ist traurig und erschreckend, – die Rolle der Deutschen in diesem Konflikt ist nicht geklaert. Viele deutsche Offiziere waren in dieser Zeit in der Tuerkei stationiert und haben genaueste Berichte ueber die situation dort nach berlin geschickt. den deutschen wird indirekt vorgeworfen, daß sie diese Katastrophe nicht verhindert haben. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, daß das Ganze mit Hilfe des deutschen Militärs konzipiert wurde. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (Paul Celan). Trifft das etwa auch auf die Zeit davor zu?

Lisa M. Stybor

Lisa M. Stybor, stybor.de

Grußwort von Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan

von Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Stuttgart, 27.09.2023

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin Aras,
Verehrte Landtagsabgeordnete,
Meine Damen und Herren,

Ich danke Ihnen von Herzen für die Gelegenheit, heute hier vor Ihnen zu sprechen. Meine tiefempfundene Dankbarkeit gilt all jenen, die sich für die Realisierung dieser Ausstellung eingesetzt und dazu beigetragen haben. Denn „der Weg der Trennen“, der für mein Volk nicht enden will, nicht nur eine Erinnerung an die Vergangenheit ist, sondern auch ein Aufruf zur Gerechtigkeit und zur Verhinderung zukünftiger Gräueltaten.

Es hat lange gedauert, bis die Politik in Deutschland den Mut aufbrachte, die schrecklichen Ereignisse von 1915 beim Namen zu nennen.

Doch obwohl die Bundestagsresolution von 2016 fast einstimmig verabschiedet wurde, ist sie leider bis heute in den Bundesländern nicht ausreichend gewürdigt. Baden-Württemberg steht hier eher als eine Ausnahme. Die armenischen Christen im Land sind dafür sehr dankbar. Wir fühlen uns heute hier willkommen und geschätzt. Wir haben keine Angst, armenische Christen zu sein.

Gerechtigkeitswiederherstellung ist nicht nur die Sache der Armenier, der Aramäer oder der Pontos Griechen. Es geht uns alle an. Das Schweigen wird keine Veränderung bringen, und die Zeit allein wird keine Wunden heilen. Es sind konkrete Schritte notwendig. Einige dieser Schritte sind bereits in der Resolution festgehalten. Diese sollten, auch auf Landesebene, verwirklicht werden.

Denn die aktuelle Situation in Berg-Karabach verdeutlicht, dass die Nichtverurteilung eines Völkermordes, bzw. die bloße Verurteilung auf dem Papier, ohne konkrete Schritte für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, zum weiteren Völkermord und zu Vertreibungen führt. Ein Täter, der nicht zur Verantwortung gezogen wird, fühlt sich ermutigt, sein grausames Handeln fortzusetzen.

Heute, in diesen Augenblicken, findet eine Massenvertreibung unseres Volkes aus Berg-Karabach statt. Menschen fliehen, um nicht vergewaltigt, enthauptet, ermordet und ausgelöscht zu werden.

Wir dürfen und können angesichts der brutalen Auswirkungen der anhaltenden ethnischen Säuberung der armenischen Christen in Berg-Karabach durch Aserbaidschan nicht schweigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Armenier in Berg-Karabach erleiden gravierende Menschenrechtsverletzungen. Heute. Auf dem Territorium des Europarates. Die Wahrung der Menschenwürde und der Menschenrechte in Berg-Karabach ist in diesem Zustand unmöglich.

Deshalb appelliere ich auch an Sie, verehrte Landtagsabgeordnete:

  • Erheben auch Sie Ihre Stimme gegen diese Ungerechtigkeit;
  • Treffen Sie keine wirtschaftlichen Abkommen mit Aserbaidschan;
  • Sorgen Sie für sofortige humanitäre Hilfe;
  • Setzen Sie sich auf Bundes- und EU-Ebene für konkrete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit, der Freiheits- und Menschenrechte, der Würde der Armenier in Berg Karabach ein;
  • Unterstützen Sie die Demokratie in Armenien.

Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen, dass wir nicht schweigen, dass wir für Gerechtigkeit und Frieden stehen, dass für uns Menschenrechte und die Menschenwürde unantastbar sind.

Vielen Dank.

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