Nach dem Jubel des Palmsonntags begegnet uns heute ein anderer Christus: hungrig, konfrontativ, unbequem. Die Theologie der armenischen Kirche verbindet am Montag der Karwoche kosmische Ordnung mit existentieller Krise – und fordert uns heraus, über die Fruchtbarkeit unseres eigenen Lebens nachzudenken.

Der zweite Schöpfungstag, an dem Gott die Wasser schied und den Himmel erschuf, bildet den kosmologischen Rahmen. Diese erste grundlegende Trennung im Universum weist bereits hin auf das, was uns als Menschen ausmacht: die Fähigkeit zu unterscheiden – zwischen Frucht und Schein, zwischen Substanz und Leere.

In dieser Spannung stehen zwei Urgestalten der biblischen Überlieferung: Adam und Henoch. Der eine griff nach verbotener Frucht und verlor das Paradies; der andere brachte Frucht hervor und wurde lebendig in den Himmel aufgenommen. Zwei Wege des Menschseins, zwischen denen wir täglich wählen.

Wenn Christus den Feigenbaum verflucht (Mt 21,18-22), vollzieht er keinen Akt göttlicher Willkür. Vielmehr konfrontiert er uns mit der Frage: Was bleibt von unserem Leben, wenn der Hunger Gottes nach Früchten der Gerechtigkeit uns prüft? Die üppigen Blätter religiöser Betriebsamkeit können die Leere nicht verbergen, wo die Frucht der Liebe fehlt.

Die Gleichnisse, die folgen – von den zwei ungleichen Söhnen bis zu den bösen Weingärtnern – führen den Gedanken weiter: Nicht Worte und religiöse Gewänder zählen, sondern die Tat. Nicht das Erbe der Väter rettet, sondern die lebendige Begegnung mit dem Gottessohn.

Der armenische Theologe Stephanos von Syunik deutet den verdorrten Feigenbaum als Symbol für einen Glauben, der im Rituellen erstarrt ist. In einer Zeit, in der auch uns religiöse Konsumhaltung und digitale Selbstdarstellung umgeben, spricht diese Deutung erschreckend aktuell zu uns: Wie oft präsentieren wir die schönen Blätter unserer Frömmigkeit, während die Frucht fehlt?

Jesaja 40 verstärkt diesen Ruf: „Alles Fleisch ist wie Gras, und all seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“ Was bleibt von unseren beeindruckenden Projekten, unseren theologischen Systemen, unseren kirchlichen Strukturen, wenn der hungrige Christus nach Frucht sucht?

Die Karwoche beginnt nicht mit Trost, sondern mit Konfrontation. Vielleicht liegt gerade darin die größte Barmherzigkeit: Noch ist Zeit, vom bloßen Schein zur wahren Frucht zu finden. Noch können wir, mit Matthäus 20,28 gesprochen, vom Herrschen-Wollen zum Dienen umkehren. Noch können wir mit Henoch den Weg Gottes gehen – statt mit Adam die Frucht nur für uns selbst zu begehren.

Der Montag der Karwoche lädt ein zur existentiellen Inventur: Womit stillen wir den Hunger Gottes und den Hunger der Welt?