Ökumenischer Gottesdienst zur Eröffnung der Interkulturellen Woche in Berlin
Predigt am 17.09.2015 zu Römer 15, 7, Evangelische St. Simeonkirche
Darum nehmt einander an,
wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.
Römer 15, 7
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist mir eine Ehre, hier im Rahmen des ökumenischen Gottesdienstes zur Eröffnung der Interkulturellen Woche mit Ihnen Gedanken zum Vermächtnis zu teilen, welches uns der Heilige Apostel Paulus durch den Römerbrief geerbt hat.
Der Heilige Apostel befand sich auf dem Rückweg von seiner dritten Missionsreise, die ca. 4 Jahre gedauert hat. Von Antiochia gestartet, führte ihn der Weg über Syrien nach Galatien, dann weiter bis Mazedonien und Korinth. Die Rückreise verlief fast parallel, nur der letzte Teil nicht mehr über den Landweg, sondern quer über das Mittelmeer. Von Patara reiste er mit dem Schief nach Tyrus.
Patara liegt in der heutigen Türkei und war einer der wichtigsten Handelsposten der damaligen hellenistischen Welt. Der Bischof Nikolaus von Myra wurde dort geboren. Tyrus, das ist im heutigen Libanon, als Ziel der Reise, galt damals als bedeutendster Handelsplatz im äußersten Osten des Mittelmeers.
Paulus nutzt die Zeit, die Jahre seiner letzten Missionsreise nochmal vorbeiziehen zu lassen. In den vergangenen Jahren lernte er Menschen kenn: Juden und Heiden, Bekehrte und Zweifelnde, Römer und Griechen. Es gab zwischen Ihnen sowohl freundliche und aufgeschlossene Menschen genauso, wie Menschen, die ihn distanziert begegneten. Ihm sind all diese Begegnungen wichtig und er will das Erlebte verarbeiten, um dann in seinen Briefen das Erlebte mit bekannten und unbekannten Gemeinden zu teilen, und sie u.a. durch selbsterlebte Beispiele in ihrem Glauben zu stärken.
Er schöpft von seinem Alltag. Vor allem von den Begegnungen mit Menschen, die ihm sehr wichtig waren. Und so erinnert er sich u.a. an die Begegnung mit der Familie mit den sieben Kindern. Diese zogen Heimatlos Richtung Mazedonien. Wegen einer Zollstation der Römer, die am Orte ihres Hauses gebaut wurde, wurden sie vertrieben und suchten nach einem Zufluchtsort, ohne dass die irgendwo heimisch geworden wären. Egal wo sie hinkamen, sie waren Fremde, Schmarotzer, Unerwünschte. Selbst eine junge christliche Gemeinde hat die abgestoßen. Paulus wurde Zeuge, wie Christen diese Familie abwiesen.
„Warum seid ihr hier, geht zurück in ihre Heimat!“
„Wer kümmert denn sich um uns, damit wir uns um euch kümmern!“
„Ihr seid doch nur Wirtschaftsflüchtlinge“
Paulus will das Erlebte, das, was in seinen Gedanken herumspielt, zumindest das Grundsätzliche davon, festhalten. Seine Gedanken kreisen weiter und stocken bei der Gemeinde in Rom. Er hatte schon so viel von ihnen gehört. Und obwohl er drei große Reisen unternommen hat, ist er noch nicht bis Rom gekommen. Nach seiner Ankunft in Jerusalem schreibt er der Gemeinde in Rom einen Brief, in dem er das erlebte hineinintegriert. Der Römerbrief entsteht. Ein Brief an eine ihm zu diesem Zeitpunkt unbekannte Gemeinde. Ein Brief, in dem Paulus die wichtigsten Fragen des Evangeliums zusammenfasst. Und zwar so, dass sie seinen alltäglichen Erlebnissen der letzten Jahre genügen. Die zentrale Botschaft dieses Briefes, die ich als den wichtigsten seiner Briefe bezeichne, ist, dass Gott durch Jesus Christus den Menschen rettet (Röm. 1, 16). Diese Erlösung ist für wirklich jeden bestimmt. Juden wie Griechen, Römer wie Heiden, wichtig ist nur, dass wir an unseren Retter und Erlöser glauben. Im Kapitel 15 des Römerbriefes finden wir dann den Vers, denn ich für die Predigt heute übernommen habe. Dort heißt es:
„Darum nehmt einander an,
wie auch Christus uns angenommen hat,
zur Ehre Gottes.“ (Röm. 15, 7)
Selbstverständlich geht es hier in erster Linie darum, dass die im Glauben starken die schwachen annehmen sollten und denen gegenüber geduldig sein sollten. Nicht überheblich, nicht arrogant, nicht ignorant, sondern verständnis- und liebevoll.
Heute verwenden wir seine Worte aber, um auf ein aktuelles Problem hinzuweisen, welches allzu eng mit unserem Glauben verbunden ist. Denn der Glaube ist nur dann sinnvoll, wenn er ein gelebter Glaube ist, ein lebendiger Glaube.
„Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes“. Wie viel ist in diesem Satz abzulesen, was der Heilige Paulus selbst erleben dürfte und wogegen er sich einsetzen wollte: Ablehnung, Vorbehalte und Vorurteile. Er will aber, dass wir einander annehmen.
Den anderen anzunehmen. Dies kann manchmal durchaus schwierig sein. Denn der Andere kommt aus einer anderen Kultur, spricht eine andere Sprache, hat andere Kleidungen an und andere Umgangsformen. Vieles ist für uns fremd bei dem Anderen. Und wir sollten ihn annehmen.
Wie soll denn das geschehen? Vielleicht so, wie es einige tun, in dem sie montags in den Plätzen der Großstädte in Deutschland rufen: „Wir sind das Volk“… Die meinen aber, dass die Anderen, die nicht in deren Vorstellungen passen, einfach gehen sollten… Oder vielleicht so, wie gerade die ungarische Regierung die Flüchtlinge annimmt? In dem er zwischen Christen und Muslime trennt und den einen helfen will, den anderen aber nicht? Oder vielleicht so, wie die Terroristen der ISIS den anderen annehmen, nämlich nur dann, wenn er sich unterordnet und sich der Vorstellung dieser Unmenschen anpasst? So annehmen?
Ich will dazu einen der größten Deutsche zitieren, den Dietrich Bonhoeffer, der in seinem Buch „Gemeinsames Leben“ sagt: „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selber, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte“.
Der Apostel Paulus sagt, dass wir den anderen so annehmen sollen, wie Christus uns angenommen hat. Und ich frage: wie hat denn Jesus uns angenommen? Hat er uns zunächst gefragt, was wir so vollbracht haben im Leben, bevor er uns gerettet hat? Hat er nach unserer Haut- oder Augenfarbe gefragt? Hat er uns nach Nationalität, Herkunft oder Glaubensweg gefragt? Hat er vielleicht uns gefragt ob wir krank oder gesund, reich oder arm sind? Nein. Er hat uns vorbehaltlos angenommen! Und zwar jeden einzelnen von uns. Er, der Sohn Gottes, wurde zum Menschen, damit wir vergöttlicht werden können. Er, der Schöpfer ist gekommen und hat Fleisch angenommen und lebte mit uns wie ein Mensch. Er arbeitete, er war müde, er schlief, er predigte das Evangelium. Das Einzige, was er nicht gemacht hat: er hat nicht gesündigt. Und doch er wurde für unsere Sünden gekreuzigt und er starb. Er starb für unsere Sünden. Für die Sünden unserer Vorfahren, für unsere Sünden und für die Sünden unserer Nachkommen. Doch er hat durch seinen Tod den Tod besiegt. Er ist auferstanden von den Toten und hat uns das Leben geschenkt. Das Leben in der Ewigkeit. So hat er uns angenommen.
Und wir, die wir ihm ähnlich werden möchten, sollten so handeln wie er. Wir sollten von ihm lernen und den Anderen so annehmen, wie Jesus Christus uns angenommen hat. Und wenn Sie fragen: wie hat er es geschafft? So antworte ich: durch die Liebe. Versuchen wir also, bevor wir den anderen Abstoßen und Verurteilen, uns bewusst zu machen, dass hinter jeglicher Begreiflichkeit: Fremde, Flüchtlinge und Asylanten, der Mensch gemeint ist. Das Bild und Gleichnis Gottes. Die Kröne der göttlichen Schöpfung. Und dann versuchen wir in diesem Menschen den Schöpfer zu begegnen. Ich bin mir sicher, dass es uns dann gelingen wird, den anderen so anzunehmen, wie Jesus Christus uns angenommen hat: vorbehaltlos. Warum sollten wir es den tun? „Zur Ehre Gottes“ sagt uns der Apostel. Suchen Sie keine weiteren antworten auf diese Frage! Tun Sie es zur Ehre Gottes! Und sein Segen und seine beschützende Rechte soll über euch und eure Familien sein, wie gestern und heute, so auch in der Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen.
Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan