Die Resolution zum Völkermord und die aktuellen Herausforderungen in Armenien und Artsakh
Gemeinsam für Armenien: Ein Interview mit dem Gemeindepfarrer der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg pfr. Dr. Diradur Sardaryan
AGBW: Hochwürdiger Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Armenien und Berg-Karabach möchten wir gerne mehr über die Rolle der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg e.V. erfahren und wie sie dazu beiträgt, den armenischen Christen in dieser schwierigen Zeit zu helfen.
Pfarrer Diradur: Es ist mir eine Freude, über das Engagement unserer Gemeinde zu sprechen. Die Situation in Armenien und Berg-Karabach ist in der Tat besorgniserregend, und es liegt uns sehr am Herzen, unseren Brüdern und Schwestern vor Ort beizustehen.
AGBW: Die Resolution zum Völkermord, die der Deutsche Bundestag am 02. Juni 2016 verabschiedet hat, spielt eine wichtige Rolle bei der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern. Wie beeinflusst diese Resolution die Arbeit Ihrer Gemeinde und welche Konsequenzen hat sie?
Pfarrer Diradur: Die Resolution war ein bedeutender Schritt in Richtung Anerkennung und Aufarbeitung der historischen Tragödie, die die armenische Gemeinschaft erlebt hat. Sie erinnert uns daran, dass die deutsche Geschichte eine Rolle in diesem dunklen Kapitel gespielt hat und dass es unsere gemeinsame Verantwortung ist, die armenische Gemeinschaft zu schützen und einen weiteren Völkermord zu verhindern.
AGBW: Wie unterstützt die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg e.V. konkret die armenischen Christen in Berg-Karabach?
Pfarrer Diradur: Unsere Gemeinde, als Teil der Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland, leistet auf verschiedenen Ebenen Unterstützung. Zum einen organisieren wir Spendenaktionen, um finanzielle Mittel zu sammeln, die direkt den humanitären Zwecken vor Ort zugutekommen. Diese Mittel werden für dringend benötigte Ressourcen wie Lebensmittel, medizinische Versorgung und Schutz verwendet.
Darüber hinaus bieten wir auch moralische Unterstützung und geistlichen Beistand. Unsere Gebete, Segenswünsche und moralische Unterstützung sollen den Menschen vor Ort Trost und Hoffnung schenken. Unsere Diözese steht in engem Kontakt mit der Diözese vor Ort und kooperiert, um die armenische Gemeinschaft bestmöglich zu unterstützen.
AGBW: In Anbetracht der aktuellen Situation in Armenien und Berg-Karabach, wie schätzen Sie die Herausforderungen ein, mit denen die armenische Gemeinschaft konfrontiert ist?
Pfarrer Diradur: Aserbaidschan schafft derzeit Fakten, indem es die Grenzen um Karabach schließt und wiederholt Gas- und Stromversorgungen unterbricht, was zu einer Blockade und einer erschwerten Lebenssituation für die Menschen in der Region führt. Dies dient dem Ziel, Angst zu verbreiten und die Armenier zur Flucht zu zwingen, was letztlich zur Entarmenisierung der Region führen soll.
Wenn das so weitergeht und keine Gerechtigkeit wiederhergestellt wird, kann erneut ein Krieg ausbrechen, ausgelöst durch einen Angriff Aserbaidschans auf Berg-Karabach, um die Bevölkerung aus der Region zu vertreiben. In diesem Fall würde es zu Verteidigung und vielen Opfern kommen, während der Rest der Bevölkerung fliehen würde.
Die Vorstellung der Aserbaidschaner, dass Armenier einfach unter aserbaidschanischer Verfassung weiterleben könnten, ignoriert den tief verwurzelten Hass und die Feindbilder in beiden Ländern. In Aserbaidschan herrschen starke Hassgefühle gegenüber Armenier, die von der politischen Führung instrumentalisiert werden. Ohne eine Schutzmacht besteht die Gefahr von Massentötungen oder zumindest Vertreibungen der armenischen Bevölkerung.
Die Aussichten auf ein Friedensabkommen sind, auch wenn sie sehr erwünscht sind, eher gering. Leider will Aserbaidschan die einmalige Chance für Frieden in der Region nicht nutzen.
AGBW: Welche Botschaft möchten Sie an die Mitglieder der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg und an die Öffentlichkeit weitergeben?
Pfarrer Diradur: Unsere Botschaft lautet, dass wir gemeinsam handeln müssen, um den armenischen Christen in Armenien und Berg-Karabach beizustehen.
Es ist an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft, vor allem auch Deutschland, sich für eine nachhaltige und gerechte Lösung einsetzen. Eine aktivere Rolle Deutschlands kann sicherstellen, dass die Resolution zum Völkermord des Bundestags nicht nur ein symbolischer Akt bleibt, sondern zu konkreten Schritten führt, um die armenische Gemeinschaft zu schützen, nein zu einem weiteren Völkermord zu sagen und den Frieden in der Region wiederherzustellen. Meiner Meinung nach kann man nur durch eine entschlossene internationale Zusammenarbeit eine bessere Zukunft für alle Beteiligten erreichen.
Bis dahin sollten wir eine humanitäre Katastrophe in Berg Karabach verhindern. Dafür brauchen wir die Unterstützung sowohl unserer Landsleute als auch der Schwesterkirchen und der internationalen humanitären Organisationen. Neben finanzieller Unterstützung und materieller Hilfe ist es von großer Bedeutung, dass wir den Menschen geistlichen Beistand leisten und unsere Stimmen erheben, um Bewusstsein für ihre Situation zu schaffen.
AGBW: Vielen Dank für Ihre wichtigen Einblicke und Ihr Engagement für die armenische Gemeinschaft. Wir hoffen, dass Ihre Bemühungen dazu beitragen, den Menschen in Armenien und Berg-Karabach in dieser schwierigen Zeit Trost und Hoffnung zu schenken.
Pfarrer Diradur: Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, darüber zu sprechen. Es ist uns ein Anliegen, gemeinsam für Armenien einzustehen und unsere Solidarität zu zeigen. Möge Gott den armenischen Christen in Berg-Karabach beistehen und ihnen die Kraft geben, diese Herausforderungen zu überwinden.